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Die Waffenkammer des Noise

Musik Das Festival „A L’Arme“ präsentiert ab Donnerstag zum fünften Mal Avantgarde-Jazz, experimentelle Sound-Clashs und ganz allgemein Klänge, die den Kopf- und die Magengrube kitzeln

Ebenfalls auf Überwältigung setzt die Premiere von Seven Storey Mountain V

von Stephanie Grimm

Alarm schlagen? So wie sich die Menschheit aufstellt, ist das längst überfällig. Zur Waffe greifen? Na, wenn das denn was bringen würde. Tut’s aber nicht. Und so bleibt erst einmal nur die Kunst, in diesem Fall kunstvoller Lärm. „A L’Arme“ heißt das schön doppeldeutig benannte Festival, das zum fünften Mal Avantgarde-Jazz, experimentelle Sound-Clashs und ganz allgemein Musik, die Kopf- und Magengrube kitzelt, präsentiert.

Tatsächlich wird man bei dem einen oder anderen Battle zugucken können. Gleich am Eröffnungsabend soll es einen geben, wenn Thurston Moore, einst bei Sonic Youth, auf den experimentellen Gitarristen Caspar Brötzmann, Frontmann der Progressive Rock-Band Massaker (und Sohn der Freejazz-Legende Peter Brötzmann), trifft. Befreundet seit zwanzig Jahren, standen sie erst 2014 zusammen auf einer Bühne als frei improvisierendes Duo: Punkrock-Sozialisation trifft auf Industrial-Klangwelten. Oder, um es so nerdig auf den Punkt zu bringen wie die Veranstalter: ein Duell zweier Fender-Gitarren steht an – Jaguar gegen Stratocaster.

Stattgefunden hat das erste musikalische Zusammentreffen der beiden in Moores neuer Ostlondoner Wahlheimat Shoreditch, im vielleicht coolsten Musikclub der Insel, dem Café Oto. Die zweite Zusammenkunft findet nun im Berghain statt, dem möglicherweise immer noch besten Club dieser Stadt. Klanglich jedenfalls ist das Soundsystem das eindrucksvollste, wenn es um laute Musik geht. Ab dem zweiten Tag ist dann das nicht nur dank seiner schönen Lage am Fluss lauschige Radialsystem Festival-Spielstätte.

Noch mehr Rock, diesmal in Prog-Gewand, gibt es nach Brötzmann/Moore von den Norwegern von Elephant 9 – ganz ohne Gitarren. Man setzt auf die Hammond Orgel (von Ståle Storløkken, ehemals mit Motorpsycho unterwegs) und eine von Schlagzeug und Bass angetriebene Rhythmusgruppe, bei der der Metal-Jazz-Drummer Torstein Lofthus Leichtigkeit und Wucht zusammenbringt.

Ebenfalls auf Überwältigung setzt am Donnerstagabend die europäische Premiere von Seven Storey Mountain V, der fünften Komposition eines Zyklus, an dem der New Yorker Trompeter Nate Wooley zehn Jahre arbeitete. An die zwanzig Musiker werden auf der Bühne stehen, die meisten mit Blasinstrument – einen Sound, den man vielleicht mit Avantgarde-Jazz, kaum aber mit Neuer Musik zusammendenkt. Doch genau diese Mischung soll es am Abend zu hören geben.

Schön am „A L’Arme“-Festival ist, dass die Ticketpolitik nahelegt – es gibt nur Karten für ganze Abende oder gleich fürs komplette Festival, nicht für einzelne Veranstaltungen – sich auch einmal etwas anzugucken, was man vielleicht noch nicht auf dem Schirm hat: An diesem Donnerstag wäre das für die Autorin die slowenische Pianistin Kaja Draksler, die bei ihren Soloauftritten dem Vernehmen nach Improvisation und Präzision zusammenbringt und zudem musikalische Einflüsse ihrer Heimat in ihr Klavierspiel einwebt. Am Tag darauf ist sie dann nochmal mit Ensemble zu erleben.

Doch noch einmal zurück zu Moore und Brötzmann. Auch diese beiden Musiker kann man am Freitagabend noch einmal in jeweils anderen Zusammenhängen erleben. Eine Veröffentlichung von Brötzmanns Live-Noise-Experimente mit dem italienischen Bassisten Massimo Pupillo und Schlagzeuger Ale­xandre Babel gab es bislang noch nicht, was sich mit dem Album „Live At Candybomber Studio Vol. I“ ändert. Das Album wird hier vorgestellt.

Und wer immer noch Sonic Youth vermisst (Thurston Moore spricht nach seiner Scheidung von Ehefrau und Bandkollegin Kim Gordon immer noch von einer Auszeit, Gordon dagegen bezeichnete die Situation in ihrer Autobiografie als Trennung der Band;) wird zentrale Elemente sicher bei der Thurston Mooore Group wiederfinden (mit dabei ist auch der Sonic-Youth-Drummer Steve Shelley). Ob es wirklich ein subventioniertes Avantgarde-Festival braucht, um diesen Sound unter die Menschen zu bringen, steht auf einem anderen Blatt. Toll werden die sicher die weitgehend instrumentellen und repetitiven Rock-Mantren (zwei der fünf mit Geduld ausbuchstabierten Songs auf dem Album Rock ’n ’Roll Consciousness“ sind über zehn Minuten lang) live aber sicher klingen.

Während das letztjährige Festival-Motto „Inner Landscapes & Unknown Chambers“ für die Erforschung innerer Räume stand, geht es im fünften Jahr also mit mehr Umpff, Energie und einem Herz für Noise zur Sache.

Und dafür taugt Punk in seinen intelligenten Spielarten immer eben noch. Zum Finale am Samstag spielen in diesem Sinne The Ex auf. Gegründet hat sich die niederländische Band bereits 1979, zur ersten großen Punkwelle. Und obwohl die nicht gerade für musikalische Innovation stand, erwies sich diese Band über die Jahrzehnte als überaus experimentierfreudig. Anregung suchte sie auch jenseits der Rocktradition, etwa bei türkischer oder äthiopischer Volksmusik. 1990 stieß der britische Gitarren-Innovator Andy Moor zu ihnen. Zum Abschluss des „A L’Arme“-Festivals stellen The Ex ein komplett neues Set vor und schicken ihr Publikum hoffentlich durchgerüttelt in eine hoffentlich laue Nacht am Wasser. Die wird dann von DJs des Avantgarde-Labels Raster-Noton bespielt. Richtig dosierter Lärm taugt eben doch als Waffe.

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