kommentar von Christian Jakob zur Flüchtlingsaufnahme in Italien
: Die Basta-Rufe werden lauter

Was Italien will, braucht und verdient, ist europäische Solidarität

Es war ein elendes, erbärmliches Taktieren: Fast ein halbes Jahr brauchte die EU 2015, um eine Notlösung zur Flüchtlingsverteilung zu beschließen. Aber selbst die Entscheidung, Italien und Griechenland nur einen kleinen Teil ihrer Last abzunehmen, war manchen schon zu viel: Ungarn und die Slowakei klagten gegen den Verteilmechanismus. Jetzt hat der EU-Generalanwalt dafür plädiert, ihre Klage abzuweisen.

Man kann den Ungarn und Slowenen noch zugutehalten, dass sie wenigstens ehrlich sind. Elf andere Staaten haben nicht geklagt, aber Italien bis heute keinen einzigen Flüchtling abgenommen. Die übrigen nahmen zusammen ganze 7.500 Menschen auf – vereinbart war das Fünffache. Und selbst das wäre viel zu wenig gewesen.

Italien steckt deshalb heute in echten Nöten. Es sind nicht nur die letzten Monate mit der Rekordzahl von Ankünften, die es belasten, sondern die letzten zehn Jahre. Der Egoismus der anderen Staaten lässt das Land zum Opfer seines eigenen Pflichtbewusstseins werden. Es nimmt weiter auf, wenn auch zunehmend unwillig, obwohl es konsequent im Stich gelassen wird. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn etwa eine Regierung wie die von Viktor Orbán für das Mittelmeer zuständig wäre.

Was Italien will, braucht und verdient, ist europäische Solidarität. Die bekommt es aber nicht. Das ist der Grund, warum es droht, seine Häfen zu schließen und Flüchtlingsboote abzuweisen. Der Mangel an Solidarität der anderen war auch der Grund, warum es die Verlängerung der EU-Antischleppermission „Sophia“ blockierte und die Seenotrettungs-NGOs mit einem „Verhaltenskodex“ ausbremsen will.

Deutschland macht es sich leicht. Merkel dankt Italiens Premier Gentiloni am Telefon, SPD-Kanzlerkandidat Schulz reist heute nach Rom. Gleichzeitig aber drängt die Bundesregierung auf eine Reform der Dublin-Verordnung. Die wird alles noch schlimmer machen: Ausnahmeregelungen wie jene, die 2015 die Entlastung Griechenlands möglich machte, sollen wegfallen.

Wer glaubt, das alles beträfe ihn nicht, er sei ja kein Flüchtling, irrt. Schon jetzt finden an den meisten Schengen-Binnengrenzen Kontrollen statt. Wenn der Druck weiter wächst, will Italien die Dublin-­Regelung über Kurzzeit-Schengenvisa für Flüchtlinge außer Kraft setzen. 2013 hat Rom das schon mal ausprobiert – viele Tausend Flüchtlinge zogen weiter nach Norden. Wer eine Vorstellung davon bekommen will, was dann los ist, der sei an die neuerdings am Brenner bereitstehenden österreichischen Panzer erinnert – auch wenn die nichts weiter als eine absurde symbolische Geste sind.

Die EU ist einmal mehr zu schwach, um diesen Zustand abzustellen. Sie ist durch nationale Egoismen ausgebremst. Seit Monaten will sie Staaten unter Androhung ­horrender Bußgelder zwingen, Ländern wie Italien Flüchtlinge abzunehmen, sobald sie 50 Prozent mehr aufgenommen haben, als sie gemäß ihrem Anteil an der EU-Bevölkerung aufnehmen müssten. Doch daraus wird nichts. Die anderen Staaten blockieren ein solches Verfahren.

Es ist ein elendes, erbärmliches Taktieren.