Staat soll bleiben

Landeskrankenhäuser: Experten halten Privatisierung des Maßregelvollzugs in Niedersachsen für verfassungswidrig

Beschäftigte trugen ihre Landeskrankenhäuser (LKH) schon in Särgen symbolisch zu Grabe, Direktoren der zehn vom Verkauf bedrohten LKH in Niedersachsen schrieben Brandbriefe an Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Gestern fuhr die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Juristen auf, um das Verschachern der Häuser zu torpedieren. Niedersachsen will die Landeskrankenhäuser im kommenden Jahr verkaufen, – inklusive Maßregelvollzug. Der sei „der massivste Eingriff des Staates in die Rechte der Betroffenen“, sagte Strafrechtsexperte Helmut Pollähne von der Universität Bremen bei einer Anhörung in Hannover. Dieses Rechte dürfe der Staat nicht aus der Hand geben. In den Maßregelvollzug – statt ins Gefängnis – können die Gerichte psychisch Kranke oder Drogenabhängige einweisen.

Von den 4.044 Betten in den Kliniken stehen derzeit ein Viertel für den Maßregelvollzug zur Verfügung. Es fehlen 200 Betten. Das Land habe dafür kein Geld, deshalb muss ein Investor her, argumentiert das zuständige Sozialministerium. Die abschließende Verantwortung für den Maßregelvollzug soll aber beim Land bleiben. Auch Siegfried Broß hält das für keine gute Idee. Durch eine Privatisierung öffentlicher Aufgaben verliere der Staat seine Steuerungsfähigkeit und mache sich von den Gesetzen des Marktes abhängig, sagte der Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das Grundgesetz verbiete zudem, „dass sich der Staat zur Wahrnehmung solcher Aufgaben privater Dritter bedient, die er nicht voll beherrscht.“

Heinz-Joachim Bonk, ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, meinte, eine teilweise Privatisierung des Maßregelvollzugs sei sehr wohl möglich. Allerdings nur bei der Küche, der Wäscherei oder der Gebäudereinigung. Laut Hans-Ludwig Schreiber von der Universität Göttingen beruhen die Berechnungen der Landesregierung laut Schreiber „auf einem wirtschaftlichen Irrtum“. Auf das Land kämen hohe Folgekosten zu.

Der Leiter des LKH in Königslutter, Jürgen-Helmut Mauthe, fürchtete gar, dass Private die Aufgabe des Maßregelvollzugs nicht ernst nehmen würden. Die Unternehmen hätten ja kaum ein Interesse daran, psychisch kranke Straftäter auf ein straffreies Leben vorzubereiten, um sie zu entlassen. Mauthe: „Das ist ein großes Risiko für die Bevölkerung.“ taz/dpa