„Royal-Fieber“ in Deutschland: Adel trifft Pöbel
Das britische Thronfolgerpaar William und Kate tourt durch Deutschland. Am Mittwoch winkten sie ihren Fans am Brandenburger Tor zu.
Ja, selbst die taz ist im Royalfieber. Man will es nur nicht so ganz zugeben. Denn eigentlich steht der Adel ja für alles, was man hier nicht so mag: undemokratische Repräsentation, hierarchische Strukturen, Intransparenz und Lackschuhe. Seit 99 Jahren ist die Monarchie in Deutschland Geschichte. Da dankte der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., ab. So ganz vorbei ist es mit der Faszination für die Krone aber auch im Land von Turnschuh-Minister und Blazer-Kanzlerin nicht.
Denn: Berlin steht dieser Tage kopf. Das britische Thronfolgerpaar kommt zur ersten offiziellen Deutschlandreise. Sogar die Minimonarchen Prinz George (3) und Prinzessin Charlotte (2) sind mit dabei. Auf dem Programm des dreitägigen Aufenthalts stehen unter anderem ein Besuch in einem Jugendhaus in Marzahn und ein Tagesausflug nach Heidelberg.
Mittendrin und voll dabei
Am Mittwoch geht es los mit Handshaking vor dem Brandenburger Tor. Dort stapeln sich Kamerateams und Polizeiautos. Auf den umliegenden Balkonen der französischen Botschaft und der Akademie der Künste gehen die Zaungäste in Stellung.
Wird Prinz George upper-class-standesgemäß in kurzen Höschen auftreten? Gibt es einen Knicks zur Begrüßung? Wie viele Haare hat William noch auf dem Kopf? Das erfordert natürlich investigative journalistische Begleitung. Der rbb überträgt den ganzen Nachmittag im Fernsehen, der Tagesspiegel startet einen Liveblog. Und auch die taz hört sich um.
Im Wartepulk kommt man schnell ins Gespräch. „Meinen Sie, die Kate ist schon wieder schwanger?“, fragt eine Zuschauerin ihre Stehnachbarin. „Da kommt auf jeden Fall noch eins, wenn nicht gar zwei“, antwortet diese. Die Dame entpuppt sich, Union Jack auf dem T-Shirt und Kates nachgemachten Verlobungsring am Finger, wie viele hier als Wiederholungstäterin. Schon 2011 war sie bei der Hochzeit von William und Kate in London. Und beim 80. Geburtstag der Queen. Jetzt also Berlin.
Um 13.30 Uhr soll es losgehen, zwanzig Minuten später ist es schließlich so weit. Die Polizisten werden strenger, die Kameramänner hektischer. Ein kurzer Jubel, dann taucht das Thronfolgerpaar auf, wie lebendig gewordene Wachsfiguren. Kate in, of course, royalblauem Kleid. William mit frisch geschorenem Haupthaar. Zur allgemeinen Enttäuschung ist der Nachwuchs nicht mit dabei (wahrscheinlich zu heiß), dafür aber Bürgermeister Michael Müller.
Nur die Harten kommen in Garten
Man winkt und lächelt, unterhält sich und stakst übers Pflaster. Die Menge wird unruhig. Von wegen Euphorie der Masse. „Können Sie vielleicht mal Ihren Rucksack aus meinem Gesicht nehmen?“ – „Ich stehe hier seit 9 Uhr, da habe ich auch das Recht, ganz vorne zu sein.“
Und auch bei der Autorin dieser Zeilen lupfen sich die Fußsohlen wie von selbst, der Hals zieht sich in die Länge. Nur mal ein bisschen gucken. In Zeiten wie diesen wirkt die adelige Ablenkung ja irgendwie heilsam. Europa droht auseinanderzubrechen, der Brexit entzweit das Land – die Windsors winken trotzdem geeint vom Balkon. Während Premierministerin Theresa May vor lauter Unbeliebtheit ihre Parlamentsmehrheit verliert, bleiben die Sympathiewerte der Royals nach wie vor hoch. Sagt zumindest die Freizeit Revue.
Der Eindruck bestätigt sich in Berlin. Das Aufeinandertreffen von Adel und Pöbel folgt einer ganz speziellen Choreografie. Diszipliniert warten alle hinter den Absperrungen. Bewegen sich Kate und William in Richtung ihrer Fans, schnellen Jubel und Hände in die Höhe. Plakate und Blumensträuße werden verschenkt. „William, ich habe schon deine Mutter Diana in Berlin erlebt!“
Nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Ein letzter gnädiger Blick von Kate, dann verschwindet sie hinter dem Schädel des Vordermanns. Was übrig bleibt vom ganzen Spektakel? Die taz zumindest hat ein Fähnchen mitgehen lassen.
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