Bling-Bling-Mike im Glück

TOUR DE FRANCE Der Australier Michael Matthews jagt dem Deutschen Marcel Kittel in den Alpen das Grüne Trikot ab. Er profitiert vom Aufgeben des Thüringers nach einem Sturz

Super drauf: Michael Matthews Foto: dpa

aus Serre Chevalier Tom Mustroph

„Le Kaiser“ war frustriert. Er hatte das grüne Leibchen verloren, das er über so viele Etappen bei dieser Tour de Fance getragen hatte. Fünfmal war er als Sieger über die Ziellinie gesprintet. Und gestern gab er nach einem Sturz auf. Sein Knie blutete, der Ellenbogen auch. Vor Kittel türmten sich weitere Alpengipfel auf. Vielleicht wollte er sich nicht mehr schinden, nicht mehr mit ansehen, wie ihm der Australier Matthews Punkt um Punkt in der Sprintwertung abnahm. Matthews war ihm dank einer bravourösen Teamleistung von Sunweb immer näher gerückt.

Kittels frühere Sprintvorbereiter Albert Timmer und Nikias Arndt fahren für ihren neuen Kapitän alle Löcher zu. Auch der Mann im Bergtrikot, Warren Barguil, setzt sich für den Australier ein. „Es ist einfach toll, dass so ein klasse Typ wie Warren, der ja eigene große Ziele hat, sich so für mich einsetzt“, sagte der überglückliche Matthews, als er in Romans-sur-Isère seinen zweiten Tagessieg bei dieser Tour auch dank der Hilfe dieser Männer feierte.

Kittel hielt sich zu diesem Zeitpunkt nur ein paar Meter entfernt in der Mixed Zone auf. Nach Freude war ihm aber nicht zumute. Denn die Sunweb-Mannen um Matthews hatten ein solch höllisches Tempo im Hügelland der Auvergne vorgelegt, dass der Thüringer aus dem Peloton herausgefallen war und nicht um Punkte sprinten konnte. Nicht einmal „Mr. 1000 Volt“, der vor einer Woche noch von Kittel hoch gepriesene „Fluchtgruppenkiller“ Julien Vermote, konnte ihn nach vorn bringen. Wie auch. Der Belgier Vermote, ein extrem starker Mann im Wind, hatte es dieses Mal nicht mit einer mehr oder weniger schlecht harmonierenden Fluchtgruppe aus drei, vier Desperados zu tun, sondern mit einem eingespielten Team, das zu allem entschlossen war.

Matthews, genannt „Bling“, weil er in seiner frühen Karriere gern mit Goldkettchen herumlief und aus seiner Vorliebe für Sportwagen kein Hehl machte, ist der Siegfahrer des deutschen Rennstalls. Man kann ihn ein wenig mit Sagan vergleichen. Er ist antrittsschnell und kletterstark zugleich. Steile Rampen, wenn sie nur kurz sind, lassen ihm das Herz im Leibe lachen. Er kommt gut darüber hinweg und kann dann noch enorm beschleunigen. Drei Männer mit solchen Qualitäten gibt es im Peloton. Einer ist der von der Tour ausgeschlossene Weltmeister Sagan. Der andere der Olympiasieger Greg van Avermaet. Und der dritte, der all das noch vor sich hat, wenn es nach ihm und seinem Team geht, eben „Bling“ Matthews. Mit Sagan hat Matthews noch etwas gemein. Beide sind mit einer Slowakin verheiratet, beide wohnen in Monaco, und alle vier gehen immerhin so oft miteinander aus, dass Sagan, als er noch bei der Tour de France war und selbst dort siegte, von den gemeinsamen Abendessen sprach.

Selbst der Fluchtgruppenkiller konnte nichts mehr tun für den Thüringer

Für Kittel stellt dieses Monaco-Duo eine Art sportlichen Albtraum dar. Denn der Thüringer kann Etappen gewinnen, wie er will, fünf in diesem Jahr bereits – bei der Wertung um Grün ist er benachteiligt. In den letzten Jahren schnappte ihm Sagan das Leibchen weg, obgleich Kittel mehr Etappen gewann. In diesem Jahr stand es 5:2 an Tagessiegen für den Deutschen gegen Matthews. Der kann in den Bergen noch Sprintpunkte sammeln, während Kittel im Gruppetto hinter dem Feld herzuckelt.

„Ich habe immer gesagt: Die Entscheidung fällt erst in Paris“, so Kittel vor seinem Sturz hoffnungsvoll. Aber die 50 Sprintpunkte auf den Champs-Élysées entscheiden nun nicht mehr übers Grüne Trikot.

„Le Kaiser“, so nennen sie hier jeden Deutschen, der es sportlich zu etwas gebracht hat – von Beckenbauer über Becker bis zu Ullrich. Kittel darf man noch wünschen, die kaiserlichen Wege seiner Vorgänger – Korruptionsvorwürfe bei Beckenbauer, Bankrottverfahren bei Becker, Dopinggeschichten bei Ullrich – zu umkurven. Ob grün oder nicht grün – ein Kaiser ohne Makel, das wäre für den deutschen Sport etwas Neues.