Jetzt wird fürs Haus gerockt

Eine Million Euro müssen die Bands aus dem Orwo-Haus auftreiben, um dessen Kauf zu finanzieren. Einige Musiker entwickelten sich so zu Experten für Finanzbuchhaltung, Vereinsrecht und Werbung

VON OLIVER TRENKAMP

Frank Zappa war kein Fachmann für Vereinsrecht, und mit Berliner Brandschutzmaßnahmen kannte er sich auch nicht aus. Zappa war Musiker. Ein brillanter Musiker. Und: „Er war ein Symbol für den Überlebenskampf der Untergrund-Kultur“, sagt Andreas Otto vom Orwo-Haus in Marzahn, in dem 100 junge Bands und Musiker ihre Übungsräume haben. „Deshalb haben wir dem Bezirk vorgeschlagen, die Straße 13 in Frank-Zappa-Straße umzubenennen.“ An der künftigen Zappa-Straße liegt das Orwo-Haus. Vor zwei Wochen hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) dem Vorschlag zugestimmt.

Das interessierte sogar die internationale Presse: Über die Umbenennung in Marzahn berichteten Medien auf der ganzen Welt – vom Wiener Standard bis zum dänischen Fernsehsender TV2, von der australischen Herald Sun bis zum italienischen Internetportal Ansa.it. Das Orwo-Haus hatte es wieder einmal in die Schlagzeilen geschafft.

Diese Medienpräsenz ist für die Musiker aus dem ehemaligen DDR-Industrieplattenbau überlebenswichtig. Seit vor über einem Jahr ihre Mietverträge gekündigt wurden, betreiben sie eine Kampagne, um ihr Haus zu erhalten und Geld für die Sanierung aufzutreiben. Währenddessen sind sie – ganz nebenbei – zu PR-Profis, Finanzbuchhaltern, Vereinsrechtlern, Bauherren und Hausbesitzern geworden.

„Ich kenne mittlerweile die Deutschen Industrie-Normen für Brandschutztüren auswendig“, sagt André Szatkowski. Er spielt Schlagzeug bei der Band Freak-A-Delic und ist gleichzeitig Vorsitzender des Vereins Orwo-Haus. „Der ganze formale Kram frisst Zeit, die ich früher fürs Proben hatte. Seit das hier losging, arbeite ich fast rund um die Uhr für das Haus.“

Los ging’s im Juli vergangenen Jahres. Der Vermieter TLG Immobilien, eine Treuhand-Nachfolgerin, kündigte die Mietverträge der Musiker außerordentlich. Der offizielle Grund: Brandschutzmängel. Die Bands aus dem Orwo-Haus standen vor dem Aus. Nirgends in der Stadt war die Miete für Proberäume so günstig wie hier. Nur knapp drei Euro mussten die Musiker pro Quadratmeter bezahlen. Einige hatten sich zwischen den Stahlträgern und unverputzten Wänden sogar eigene Tonstudios eingerichtet. Punkbands probten neben Geigenspielern. Vor der Wende hatte das Kombinat „Original Wolfen“ (Orwo) hier Fotopapier hergestellt, angeblich das Beste in der DDR. Nach den Chemikalien riecht es noch heute. Bis Mitte der 90er-Jahre die Musiker kamen, stand das Haus leer.

Die Kündigung – und damit das Ende eines einzigartigen Projekts – wollten die Bands nicht hinnehmen. Sie gründeten den Verein, organisierten kleinere Soli-Konzerte und Demonstrationen, bei denen sie schon mal die Landsberger Allee lahm legten. „Wir hatten keine Ahnung, wie PR-Arbeit funktioniert“, sagt Andreas Otto, 21, der vom Schlagzeuger der Rockband Dropped zum Pressesprecher der Musikergemeinschaft avancierte. „Wir haben einfach losgelegt.“ Das ist kaum zu glauben, schließlich bringt es das Orwo-Haus schon auf über 150 Medienberichte.

Prominente aus Politik und Kultur geben sich die Klinke in die Hand: Panikrocker Udo Lindenberg war da, Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) auch, der ehemalige Musikmanager und Radiobetreiber Tim Renner kam zu Besuch, Popsternchen Jeanette Biedermann schaut immer wieder vorbei und hat sogar 10.000 Euro gespendet.

Das alles zeigte Wirkung. Der Bezirk sponserte den Jungmusikern einen Unternehmensberater, der ein Nutzungskonzept erarbeitete. Ergebnis: Das Projekt kann sich selbst finanzieren, allerdings muss die Miete auf sechs Euro pro Quadratmeter erhöht werden. „Das haben wir schweren Herzens gemacht“, sagt Andreas Otto – schließlich ist das immer noch ein günstiger Preis für Proberäume.

Der Kultursenat schoss einmalig 50.000 Euro zu, die in den Brandschutz gesteckt werden. Doch es reicht hinten und vorne nicht. „Wir haben zwar im April den Kaufvertrag für das Haus unterschrieben“, sagt der Vereinsvorsitzende André Szatkowski, „doch an der Finanzierung wird noch gearbeitet“. Allein für den Kaufpreis müssen 340.000 Euro aufgebracht werden. „Da ließ die TLG nicht mit sich verhandeln.“ Dazu kommen noch einmal 600.000 für Brandschutz und Sanierung. Und weil ein Teil des Grundstücks der Bahn gehört, können die Musiker keine Hypothek aufnehmen. Ein aktuelles Konzept sieht jetzt vor, einen Kredit aufzunehmen und ihn über Kleinbürgschaften abzusichern.

Um das Finanzielle und die Buchhaltung kümmert sich im Orwo-Haus, wie könnte es anders sein, auch eine Musikerin: Katja Pfefferkorn, 30, spielt in der Band Paul is Dead. „Als gelernte Steuerfachangestellte kann ich mit den Zahlen ganz gut umgehen“, sagt sie. Wie fast alle arbeitet sie ehrenamtlich, „weil die Community so toll und die Proberäume so günstig sind“. Die laut Eigenwerbung „lauteste Platte der Stadt“ profitiert zudem von der Arbeitsmarktreform Hartz IV. Elf 1-Euro-Jobber und zwei Praktikanten arbeiten in dem Projekt. Lars Steuer ist einer von ihnen. Der arbeitslose Stuckateur und Gitarrist kümmert sich um die Baukoordination. Als er von den Problemen des Orwo-Hauses hörte, war für ihn und seine Band klar: „Wir ziehen mit unserem Proberaum dahin und kämpfen mit.“

Die Frank-Zappa-Straße wird nächsten Sommer eingeweiht. Sogar die Geschwister des Musikers haben sich angekündigt. Rund um das Orwo-Haus ist ein großes Fest geplant – natürlich mit Konzerten der Bands. Trotz formaler Bürokratie, finanzieller Schwierigkeiten und organisatorischer Hindernisse gilt für das Orwo-Haus ein Satz von Frank Zappa: „Jazz ist nicht tot, er riecht nur ein bisschen komisch“ – in diesem Fall nach Fotopapier.

www.orwohaus.de