Merkel verteidigt sich im EU-Parlament

EU Die Kanzlerin spricht vor den EU-Parlamentariern und wehrt sich gegen Vorwürfe, ihre Sparpolitik ruiniere ärmere Mitgliedstaaten. Auch einen neuen Finanztopf für Reformen schließt sie nicht aus

„Unsere Plenarsitzungen sind selten so gut besucht wie diese hier“

MARTIN SCHULZ, EU-PARLAMENTSPRÄSIDENT

BRÜSSEL taz | Angela Merkel hat Werbung gemacht im Europäischen Parlament in Brüssel. Werbung für ihre Europapolitik, insbesondere für das Spardiktat gegenüber der Griechen und anderen Krisenstaaten in der Eurozone. Geradezu umschmeichelt hat die deutsche Bundeskanzlerin am späten Mittwochnachmittag die EU-Parlamentarier, die sich in den vergangenen Monaten oft von den EU-Mitgliedstaaten – insbesondere von Deutschland – auf die Füße getreten fühlten.

Die Staats- und Regierungschefs hatten zahlreiche Beschlüsse durchgedrückt, ohne das EU-Parlament einzubeziehen – etwa den Fiskalpakt. „Ein Vertiefungsprozess der Europäischen Union ist unverzichtbar. Ich sehe das Europäische Parlament dabei als Verbündeten. Das will ich ausdrücklich sagen“, unterstrich Merkel gleich zu Beginn ihrer Rede.

Immer wieder appellierte Merkel an die Abgeordneten, gemeinsam an Lösungen für die Krise zu arbeiten – nicht gegeneinander. „Ich will das Europäische Parlament nicht spalten.“ Das kam an in Brüssel. Der Präsident des Parlaments, der deutsche SPD-Abgeordnete Martin Schulz, dankte Merkel überschwänglich für ihren Besuch und lobte sogar Merkels holpriges Französisch. „Ich bin sehr erfreut zu hören, dass Sie mit dem Parlament zusammenarbeiten möchten“, sagte Schulz nach der Rede von Angela Merkel.

Sonst gab es allerdings wenig Neues von der deutschen Kanzlerin in Brüssel. Sie gab sich als überzeugte Europäerin und machte sich für eine intensive Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaftspolitik stark.

Merkel erklärte, vor allem wünsche sich eine bessere Koordinierung der Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik. Die CDU-Politikerin schloss auch einen neuen Finanztopf für Reformen in den Mitgliedstaaten nicht aus. Darüber wolle sie mit ihren Kollegen beim nächsten EU-Haushaltsgipfel sprechen.

In gewissen Punkten müssten die Nationalstaaten bereit sein, Kompetenzen nach Brüssel abzugeben. Sie sei, sagte Merkel, durchaus dafür, dass langfristig die EU-Kommission zu einer Art Regierung und der Rat der Mitgliedstaaten zu einer zweiten Kammer des Parlaments auf EU-Ebene werde. Allerdings brauche das Zeit. „Jetzt müssen wir erst einmal den Euro retten.“

Widerspruch kam vor allem von den Linken, den Sozialdemokraten und den Grünen. Sie warfen Merkel vor, sie ruiniere die Staaten mit ihrem harten Spardiktat. „Ihre Regierung betreibt keine Politik, die Europa angemessen ist. Wie sollen die Staaten investieren, wenn ihnen kein Geld dafür übrig bleibt?“, fragte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Hannes Swoboda.

Merkel ließ dieses Argument nicht gelten. Sie antwortete ihm, auch die deutsche Bundesregierung hätte kein Interesse daran, Staaten kaputtzusparen. Aber es könne auch nicht sein, dass jedes Mal gestreikt würde, wenn in einem Land eine Privatisierung ansteht. „Da muss man freundschaftlich sagen können, dass das so nicht geht“, sagte sie mit Anspielung auf den aktuellen Streik in Griechenland.

Kurz vor ihrer Abreise nach London, wo sie mit dem britischen Premierminister David Cameron über den EU-Haushalt sprach, ließ Merkel an der Zugehörigkeit Großbritanniens zur Europäischen Union keinen Zweifel: „Ich möchte ein starkes Großbritannien in der Europäischen Union. Ein Europa ohne die Briten kann ich mir nicht vorstellen. Die Mitgliedschaft ist auch gut für die Briten“, sagte die Kanzlerin.

Auch dafür bekam sie Applaus von den EU-Parlamentariern, die besonders zahlreich zu ihrer Rede gekommen waren. Darauf kann sich Merkel durchaus etwas einbilden: Man will sie sehen und hören – auch im Europäischen Parlament in Brüssel. Der Präsident Martin Schulz brachte es auf den Punkt: „Unsere Plenarsitzungen sind selten so gut besucht wie diese hier. Das sollte uns zu denken geben.“RUTH REICHSTEIN