: Sündenbock
Wien Die Festwochen lassen in der zweiten Reihe Köpfe rollen
Neue Wege sollten die Wiener Festwochen mit dem neuen Intendanten Tomas Zierhofer-Kin gehen. Doch bald zeigte sich, dass das, was in den vollmundigen Ankündigungen noch alle Dringlichkeit der Gegenwart hatte, oft genug der Ästhetik und identitätspolitischen Denkfiguren der 1990er Jahre folgte.
Die Bilanz der Medien war in seltener Eintracht negativ – inklusive Rücktrittsforderungen an den Intendanten oder Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Dieser kündigte „detaillierte Manöverkritiken“ an. Die Kommunikation mit dem Publikum sei „nicht gelungen“. Erstes Resultat ist Köpferollen in der zweiten Reihe. Die KuratorInnen Nadine Jessen und Johannes Maile müssen gehen. Zierhofer-Kin hatte sie gerade erst an Bord geholt, um seine Programmideen fürs erste Jahr zu realisieren. Vertrauen erweckt das nicht. Wer, der in der Branche ernsthaft unterwegs ist, bewirbt sich mit der Aussicht, beim nächsten Flop den Sündenbock zu spielen? NachfolgekandidatInnen ab Herbst tun gut daran, sich den Job und das verbundene Pouvoir im Wiener Rathaus eigens rückversichern zu lassen.
Bleiben die Festwochen hinter den Maßstäben ihrer Avantgardegeschichte zurück, öffnen sie ein Legitimationsdefizit, das auch die übrige Kulturszene nicht unberührt lässt. Das Budget mit knapp 11 Millionen Euro öffentlichem Zuschuss pro Jahr stellt Produktionsbedingungen her, die Qualität und internationale Reputation einfordern. Ist das nicht absehbar, fragen zu Recht alle, die zu einem weit geringeren Arbeitspreis gute Kunst machen, ob die hergebrachten Relationen der Geldverteilung denn von Dauer sein müssen.
Der KuratorInnenrauswurf geht offenbar auf Shareholder in den städtischen Aufsichtsgremien zurück, weniger auf den Intendanten, der von dieser Entscheidung sichtlich geschwächt weitermacht. Eine Korrektur, die erst einmal über den Sommer helfen soll. Links der Mitte schaut das politische Wien bang auf den kommenden Herbst. Nationale Wahlen könnten eine neuerliche Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten bringen. Auch im rot-grünen Wien, es ist Stadt und Bundesland zugleich, wird eine Regierungsumbildung erwartet.
Eine breite kulturpolitische Debatte über die Ausrichtung der Festwochen mag in dieser Situation nicht opportun erscheinen. Doch postpolitisches Kalkül ist nicht gerade das, was Kunst und KünstlerInnen für harte Zeiten den Rücken stärkt.
Uwe Mattheiß
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