Aufsichtsräte in Deutschland bleiben mitbestimmt

EuGH Die deutschen Regeln zur Besetzung der Kontrollgremien kollidieren nicht mit EU-Recht

Der Kläger wollte das Diskriminierungs­argument als Vehikel nutzen, die Mitbestimmung zu kippen

FREIBURG taz | Die deutsche Form der Unternehmensmitbestimmung verstößt mit ihren Regeln zur Wahl von Arbeitnehmern in Aufsichtsräte nicht gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. Das Grundsatz­urteil fiel in der Großen Kammer mit 13 Richtern.

Konkret ging es in dem Rechtsstreit um den deutschen Touristikkonzern TUI, für den weltweit rund 67.000 Beschäftigte arbeiten, davon 10.000 in Deutschland und 40.000 in anderen EU-Staaten. Das Unternehmen unterliegt dem deutschen Mitbestimmungsgesetz, weil es mehr als 2.000 Mitarbeiter in Deutschland hat. Das Gesetz verlangt, dass die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitnehmer sind. Wählen dürfen dabei aber nur die 10,000 TUI-Mitarbeiter in Deutschland. Und auch nur diese können sich aufstellen und wählen lassen.

Darin sah der TUI-Kleinaktionär Konrad Erzberger eine unzulässige Ausländerdiskriminierung. Der Aufsichtsrat des Konzerns sei deshalb rechtswidrig zusammengesetzt. Allerdings ist Erzberger kein kritischer Aktionär, der sich für globale Arbeitnehmergleichbehandlung einsetzt. Tatsächlich wollte Erzberger, der beruflich als Bankmanager arbeitet, das Diskriminierungsargument nur als Vehikel nutzen, um das deutsche Mitbestimmungsgesetz zu kippen.

Zunächst belächelten Gewerkschafter und Rechtsexperten Erzbergers durchsichtiges Manöver. Das änderte sich aber, als das von ihm angerufene Berliner Kammergericht eine Diskriminierung für „möglich“ hielt und den Fall dem EuGH vorlegte.

Nun sah der Deutsche Gewerkschaftsbund die Mitbestimmung ernsthaft „in Gefahr“ und protestierte laut. Zwar hätte der Bundestag bei einem gerichtlichen Erfolg Erzbergers das Wahlrecht zum Aufsichtsrat möglicherweise auch neu und gerechter regeln können. Dann hätte der DGB seinen Einfluss in den deutschen Konzernen aber mit ausländischen Gewerkschaften teilen müssen.

Dazu wird es jetzt aber nicht kommen, denn der EuGH hatte keine Bedenken gegen das deutsche Mitbestimmungsgesetz.

Dabei prüfte der EU-Gerichtshof das deutsche Gesetz nur am EU-Freizügigkeitsrecht für Arbeitnehmer. Dieses sei ein spezieller Diskriminierungsschutz für die Beschäftigten. Wer als EU-Bürger im Ausland arbeitet, darf laut den EU-Verträgen nicht anders behandelt werden als die einheimischen Beschäftigten. Nach diesem Maßstab waren aber zum Beispiel Italiener, die bei TUI in Italien arbeiten, vom deutschen Mitbestimmungsrecht nicht diskriminiert – denn sie hatten von ihrem Recht auf Freizügigkeit gar keinen Gebrauch gemacht.

Eine mögliche Diskriminierung könne, so die Richter, nur vorliegen, wenn ein TUI-Beschäftigter aus Deutschland zu einer Tochter im EU-Ausland wechselt und damit sein aktives und passives Wahlrecht zum Aufsichtsrat verliert.

Doch letztlich sah der EuGH auch hierin kein Problem. Die EU könne nicht garantieren, dass ein Umzug in andere EU-Staaten „in sozialer Hinsicht neutral“ ist. Dort könne nun mal anderes Arbeitsrecht gelten und die Mitbestimmungsregeln seien nicht EU-weit harmonisiert. Deutschland könne deshalb das Wahlrecht für den Aufsichtsrat auf Beschäftigte, die in Deutschland arbeiten, beschränken. (Az.: C-566/15)

Christian Rath