Alle wollen den kahlen Hans

Wenn Dänemark und Kanada um eine unbewohnte Insel in der Nordsee streiten, geht es um die künftigen Grenzen in der Arktis – und das Eigentum an Bodenschätzen

STOCKHOLM taz ■ Dänemark und Kanada haben sich geeinigt – dass sie sich auch weiterhin uneinig sind. Aber immerhin kamen Dänemarks Außenminister Per Stig Møller und sein kanadischer Kollege Pierre Pettigrew am Montagabend am Rande der UN-Generalversammlung überein, den Streit künftig zivilisiert austragen zu wollen statt sich gegenseitig die Nationalflaggen vom Mast zu stibitzen.

Es geht um die Insel Hans Ø, einen kahlen, von Menschen unbewohnten Fels zwischen Grönland und Kanada, 1,3 Quadratkilometer groß. Doch bedeutsam genug, dass der kanadische Verteidigungsminister Bill Graham dort im Juli die Ahornblattflagge hissen ließ: Hans sei „für immer und ewig kanadisch“. Vor zwei Jahren hatten dänische Soldaten an gleicher Stelle den rot-weißen Danebrog gehisst. Seit 1973 die Grenze zwischen Kanada und Grönland festgelegt wurde, gibt es den Streit.

Dabei geht es um mehr als Prinzipien: es geht um die künftige Grenzziehung in der Arktis, wo jede Menge Bodenschätze vermutet werden, vor allem Erdöl und Erdgas. Mit anhaltender Klimaveränderung und Verbesserung der Technik wird deren Ausbeutung immer interessanter. Und der Rückzug des Eispanzers nach Norden öffnet neue Wege für den Schiffsverkehr.

So lange völkerrechtliche Spezialregelungen fehlen, haben die Anrainerstaaten aufgrund der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen das erste Zugriffsrecht. Allerdings kann ein Staat nur auf ein Gebiet von 200 Seemeilen vor der eigenen Küste Anspruch erheben – und auf das, was sich unter dem Meeresboden befindet. Doch mit Hilfe von Inselchen und der besonderen Struktur des Kontinentalsockels, die beweisen soll, dass sich das Festland unter Wasser fortsetzt, lässt sich die Grenze ausweiten.

Denn wie wichtig wenige Zehntel Winkelgrade sein können, weiß Kopenhagen seit der Grenzziehung in der Nordsee. Als die Dänen mit den Deutschen verhandelten, wie die Lage der Inseln Sylt und Rømø den Verlauf der Grenze beeinflussen sollte, hatten sie das glücklichere Händchen. Deutschland bekam einige Gasquellen, Dänemark wurde drittgrößter Erdölproduzent der Nordsee – und ist Ölselbstversorger.

Hans ist also nur ein Bauer im Schachspiel um die Arktisschätze – vielleicht Millionen wert, vielleicht aber nicht mehr als die Flasche Brandy, die der damalige Grönlandminister Tom Høyem mit der Nachricht „Willkommen auf dänischem Territorium“ vergraben hatte, als 1984 mal wieder die dänische Flagge gehisst wurde. Aber möglicherweise haben die Kanadier die ohnehin längst ausgegraben und geleert.

REINHARD WOLFF