Bilder einer Transformation

FILMREIHE „Creative Visions – Hong Kong Cinema 1997–2017“ im Arsenal beleuchtet den Wandel der Filmkultur Hongkongs

„Made in Hong Kong“ (1997) von Fruit Chan porträtiert drei Jugendliche in einer der Sozialbausiedlung in den 1980er Jahren Foto: Arsenal

von Fabian Tietke

20 Jahre ist es in diesem Jahr her, dass Hongkong aus dem Status einer britischen Kronkolonie in den einer chinesischen Sonderverwaltungszone wechselte. Seitdem vollzieht sich eine schleichende Übernahme durch die Zentralregierung in Beijing, die Schritt für Schritt die Eigenständigkeit Hongkongs beschränkt. Gegen diese politische Übernahme, die nach 1997 absehbar war, entbrannten in den letzten Jahren immer wieder Proteste. Über die goldenen Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs Hongkongs in den 1980er Jahren hat sich der Schatten der Gegenwart geschoben, was sich auch in der vielfältigen Kultur Hongkongs niederschlägt.

In Zusammenarbeit mit dem Hong Kong International Film Festival zeichnet das Berliner Kino Arsenal nun in einer Filmreihe die Veränderungen der letzten 20 Jahre in der Filmkultur Hongkongs nach. Zehn Filme zeigt das Arsenal. Der Bogen spannt sich von einem kleinen Schwerpunkt auf den Jahren direkt nach der Übernahme bis in die Gegenwart. Trotz der unvermeidbaren Lücken ergibt sich ein eindrucksvolles Bild einer Transformation.

1997 drehte Fruit Chan auf Filmresten der Produktionsfirma von Hongkong-Schauspiellegende Andy Lau seinen zweiten Film „Made in Hong Kong“. Der Film porträtiert drei Jugendliche in einer der Sozialbausiedlung kurz vor der Übernahme. „Made in Hong Kong“ wurde zum ersten Teil einer Trilogie, mit der Chan die ersten Jahre der Transformation begleitete. Chans Film ist deutlich mit der Filmkultur der Neuen Welle Hongkongs verbunden, die das Kino der Stadt in den 1980er Jahren weltbekannt machte, und setzt dabei auf Elemente, die das Kino Hongkongs bis heute prägen.

Im Setting im Wohnviertel, in der Konzentration auf Jugendliche und mit den düsteren Untertönen der Geschichte ist „Made in Hong Kong“ dem Eröffnungsfilm „Weeds on Fire“ (2016) nicht unähnlich. In „Weeds on Fire“ blendet Regisseur Steve Chan zurück in die Jugend des Protagonisten Lung im Jahr 1984. Anders als „Made in Hong Kong“ ist „Weeds on Fire“ über weite Strecken eher routiniert erzählt, übersetzt die wahre Begebenheit, auf der der Film basiert, in einen Coming-of-Age-Baseball-Film, der entfernt an die unzähligen japanischen Baseballfilme der frühen 1930er Jahre erinnert. Jahrelang stand Lung im Schatten seines Freundes Wai, der selbstbewusster und stärker ist als er. Über ein neu gegründetes Baseballteam kehren sich die Verhältnisse nach und nach um.

Ab 1997 wurde Hongkongs Eigenständigkeit Schritt für Schritt beschränkt

Der wichtigste Unterschied zwischen „Made in Hong Kong“ und „Weeds on Fire“ liegt auf der Zeitebene: Während „Made in Hong Kong“ ein durch und durch gegenwärtiger Film ist, spielt Steve Chans Film nach einer kurz skizzierten Rahmenhandlung komplett in den 1980er Jahren. Während Fruit Chan ein nahezu beliebiges Sozialbaugebiet als „Mikrokosmos für Hongkong“ wählt, so Chan in einem Interview, spielt „Weeds on Fire“ in dem Neubaugebiet Sha Tin, das in den 1980er Jahren zur größten Stadt der neu erschlossenen Gebiete in der Region Hongkong heranwuchs. Sha Tin steht für den Aufschwung in den goldenen Jahren Hongkongs, als die Zukunft vielversprechend schien. Ganz am Ende kehrt die Handlung wieder in die Gegenwart zurück. Der Baseball, den Lung in dem kurzen Segment zu Beginn des Films hat fallen lassen, rollt in Zeitlupe durch Zelte – einem Symbol der Proteste in Hongkong. Wie viele andere Filme Hongkongs flieht „Weeds on Fire“ aus der ernüchternden Gegenwart in die Vergangenheit.

Ganz anders verfahren die Vertreter des Genrekinos Hongkongs, das unterdessen auch auf dem Festland Erfolge hat und zunehmend in Koproduktionen zwischen China und Hongkong entsteht. Johnnie Tos grandioser Polizei-Film „PTU“ etwa spielt in einer einzigen Nacht. Die zahlreichen Figuren verhalten sich wie Autoscooter – sie treffen aufeinander, prallen ab und kommen an anderen Orten wieder zum Stehen. Eine Zufallsbegegnung in einem Schnellrestaurant, bringt einen halbstarken Gangster, einen halbseidenen Polizisten und einen scheinbar Unbeteiligten zusammen. Am Ende der Szene ist der Gangster tot und der Polizist ist seine Waffe los. To verwebt diverse Suchbewegungen, die sich kreuzen, beiläufigen Humor und lakonische Gewalt zu einem umwerfend zeitlosen Film.

Creative Visions – Hong Kong Cinema 1997–2017: Arsenal, 14. 7.–3. 8., www.arsenal.de