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heute in hamburg„Es ist ein täglicher Kampf“

Lesung Der Bildband „Abseits“ gibt Einblicke in das Leben und Träume von Obdachlosen auf St. Pauli

Susanne Groth

54, freie Journalistin und Autorin von „Abseits“. Sie engagiert sich für Tier- und Menschenrechtsorganisationen.

taz: Frau Groth, was können wir von Menschen lernen, die am Rande der Gesellschaft leben?

Susanne Groth: Wenn man Obdachlose fragt, was sie sich wünschen, wird einem bewusst, dass die Probleme, die man selbst hat, gar nicht so groß sind. Einer hat mir erzählt, dass er sich wünscht, dass Politiker endlich aufwachen und sich anschauen, was sie anrichten. Andere wünschen sich mehr Lebensfreude oder eine Arbeit, damit sie mal wieder ihre Familie besuchen können. Das sind Wünsche, bei denen ich sehr demütig geworden bin.

Wie sieht der Alltag von Obdachlosen aus?

Das Leben auf der Straße ist ein täglicher Kampf. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Zum einen müssen Obdachlose sich darüber Gedanken machen, wo sie etwas zu Essen bekommen, wo Kleidung und wo ärztliche Versorgung. Zum anderen sind sie ziemlich schutzlos. Sie werden häufig attackiert. Viele wandern daher von Einrichtung zu Einrichtung, je nachdem wie die Öffnungszeiten sind. Letztlich ist das der einzige geschützte Raum, den sie haben.

Gibt es auch Obdachlose, die gerne auf der Straße leben?

Ich habe keinen getroffen, der mir gesagt hat, dass er gerne auf der Straße lebt. Die Menschen, die Ihnen so etwas sagen, sind oft psychisch krank. Man muss dazu sagen, dass Obdachlose auch krank werden, weil sie schon zu lange auf der Straße sind.

Würde es helfen, ihnen Wohnungen zu stellen?

Das Problem ist, dass die meisten Angst vor Isolation haben. Daher ist es auch so schwierig für sie, eine Wohnung zu beziehen. Auf der Straße sind sie ja nicht alleine. Den meisten fehlt eine Struktur und eine Anleitung, wie „normale Bürger“ leben. Viele haben den Bezug zur gesellschaftlichen Realität verloren. Deswegen brauchen sie ein betreutes Wohnen. Das gibt es leider nur wenig.

Warum werden Menschen obdachlos?

Dafür gibt es viele Gründe. Manchmal steckt da eine Krankheit hinter, in anderen Fällen soziale Schwierigkeiten wie eine Scheidung, oft aber auch finanzielle Probleme wie zum Beispiel Jobverlust. Wenn man sich die einzelnen Geschichten anhört, merkt man schnell, wie nah jeder von uns am Abgrund steht. Vor allem die, die weder ein soziales Netz noch eine Familie haben, die sie auffangen können.

Interview Katharina Kücke

Lesung mit Diashow aus dem Bildband „Abseits“, 19 Uhr, Köli­bri, Hein-Köllisch-Platz 11/12

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