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Gemeinsame Sprache in der Schule an der Marcusallee: die deutsche Gebärdensprache Foto: Daniel Karmann/dpa

Fit fürs Arbeitsleben

BERUFSORIENTIERUNG Die Bremer Schule an der Marcusallee mit dem Schwerpunkt Hören und Kommunikation wurde erneut als „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung“ zertifiziert

von Jördis Früchtenicht

Im Juni wurde wieder das Berufswahlsiegel „Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung“ an Schulen aus Bremen und Bremerhaven verliehen. Neben fünf Regelschulen wurde zum vierten Mal die Schule an der Marcusallee mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation ausgezeichnet.

„Berufsorientierung ist eine Kernaufgabe der allgemeinbildenden Schulen und umfasst die Lebens- und Arbeitswelt, Berufs- und Studienorientierung. Die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei ihrem Übergang von der Schule in das Arbeitsleben ist ein wichtiger Baustein für das Gelingen ihres Berufsweges“, sagte Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) bei der Preisverleihung.

Das seit 2006 existierende Siegel erhalten Schulen, die ihre SchülerInnen mit unterschiedlichen Maßnahmen auf den Übergang von der Schule zu Ausbildung oder Studium vorbereiten. Es wird von einer regionalen Gemeinschaftsinitiative getragen, zu der unter anderem die Bildungssenatorin, das Landesinstitut für Schule Bremen sowie die Handelskammer (IHK) gehören. Zu den Jurymitgliedern gehören VertreterInnen aus Industrie, Handel, Handwerk, von der Universität, aus dem Bildungsressort und aus Schulen sowie Elternvertreter.

Die Schulen stellen sich einem umfangreichen Prüfverfahren. Nach der Einreichung eines Konzepts folgen Besuche von Jurymitgliedern. Neben Schulleitung und LehrerInnen werden auch Eltern und SchülerInnen befragt. „Die Besuche in den Schulen sind sehr unterschiedlich. Manche sind hoch professionell und haben alles durchgeplant“, so Björn Reichenbach von der IHK Bremen. „Es kommt aber nicht auf die perfekte Show an, sondern auf das Konzept und dessen Umsetzung – dass es gelebt wird und Lehrer und Sozialarbeiter dahinterstehen.“

Das Siegel ist drei Jahre gültig, danach müssen sich die Schulen erneut bewerben. „Dabei ist auch die stete Weiterentwicklung des Konzepts relevant“, sagt Thomas Hohenhinnebusch, Schulleiter der Schule an der Marcusallee. „Für uns ist es wichtig wahrzunehmen, dass wir als kleine Schule in einem großen System bestehen können.“

In der Schule an der Marcusallee werden zwischen 80 und 100 schwerhörige und gehörlose SchülerInnen von der ersten bis zur zehnten Klasse unterrichtet. Die Berufsorientierung beginnt in den fünften und sechsten Klassen, dort gibt es unter anderem die Möglichkeit, am „Kids Day“ Betriebe zu erkunden.

„Wir wollen die SchülerInnen fit machen für ein Leben in hörendem Umfeld“, so Hohenhinnebusch. Dafür ist neben dem Fach „Hörgeschädigtenkunde“, in dem die SchülerInnen lernen sollen, mit ihrer Beeinträchtigung zu leben, auch die deutsche Gebärdensprache verpflichtend. „Bei uns gibt es keine Differenzierung zwischen Gehörlosen und Schwerhörigen. Daher ist die Bilingualität wichtig. Die deutsche Gebärdensprache ist hier gemeinsame Sprache für alle.“

Hinzu kommen Erlebnispä­dagogik und Orientierung, die bei der Persönlichkeitsbildung und dem Erwerb von Schlüsselkompetenzen helfen. „In der fünften Klasse gibt es den Schwerpunkt Klettern“, sagt Konrektorin Sabine Kolbe. Dabei lernen die SchülerInnen, Ängste zu überwinden und sich und anderen zu vertrauen. „In der sechsten Klasse gibt es dann Kooperationsaufgaben in der Großstadt. Da lernen die SchülerInnen unter anderem auch, was sie tun können, wenn sie am Bahnhof die Durchsagen am Bahnsteig nicht hören.“ Das Einzugsgebiet ist groß, SchülerInnen kommen auch aus Cuxhaven und Walsrode. „Deswegen sind wir eine Halbtagsschule“, erklärt Kolbe. „Sonst wäre das insbesondere für die jüngeren SchülerInnen zu heftig. Aufgrund der Beeinträchtigung kompensieren sie permanent, da ist der Akku dann schnell leer.“

Dass die Schule trotz Inklusion an den Regelschulen existiert, liegt laut Hohenhinnebusch an der technischen Ausstattung des Gebäudes sowie an den Kosten für DolmetscherInnen. „An einer Regelschule steigen die Kosten signifikant, dort benötigt ein Kind pro Schultag drei Dolmetscher. Die wechseln sich dann alle zehn Minuten ab, denn die Arbeit ist sehr anstrengend.“ Zudem sind die Räumlichkeiten der Schule an der Marcusallee für Hörgeschädigte ausgelegt. „Die Räume sind akustisch vermessen, es gibt keinen Hall und überall liegt Teppichboden.“ Zusätzlich gibt es in der Eingangshalle eine Induktionsschleife. Sie ermöglicht, dass Dinge, die über die Lautsprecher gesagt werden, für HörgeräteträgerInnen drahtlos und störungsfrei direkt auf das Hörgerät übertragen werden.

Berufsorientierung ist für alle SchülerInnen wichtig, bei hörgeschädigten Jugendlichen kommt aber hinzu, dass ihnen ihre Möglichkeiten bewusst gemacht werden. „Auch die hörenden Eltern, die selbst keine Erfahrungen in dem Bereich gemacht haben, sind in Sorge, welche Ausbildung für ihr Kind möglich ist“, sagt Kolbe.

Das Berufsorientierungskonzept sei deshalb auch auf Elternabenden Thema. „Die hörgeschädigten LehrerInnen sind Vorbilder für die SchülerInnen. Sie zeigen, dass es möglich ist, einen qualifizierten Beruf zu erlernen.“

Maßnahmen zur Berufsorientierung und -vorbereitung finden teilweise im Unterricht statt, teilweise außerhalb. „In Deutsch geht es etwa darum, wie man seinen Lebenslauf schreibt“, sagt Kolbe. Auch der Umgang mit der Bewerbungssituation wird thematisiert – etwa wie man im Bewerbungsschreiben ausdrückt, dass man eine Hörschädigung hat. Auch Vorstellungsgespräche werden besprochen – der allgemeine Ablauf genauso wie Aspekte, die Hörenden nicht auffallen. „Es geht etwa darum, dass die SchülerInnen, wenn sie zum Beispiel zum Gespräch kommen und das Radio läuft, darum bitten, dass es ausgeschaltet wird“, erklärt Hohenhinnebusch.

Eine Schülerfirma ermöglicht einen ersten Einstieg in die Arbeitswelt. Das Schülercafé bietet einmal pro Woche Frühstück an, die SchülerInnen der achten und zehnten Klasse sind für die Vor- und Zubereitung verantwortlich. „Die Aufgaben umfassen den Einkauf, das Abrechnen der Kasse und auch das Bedienen. Zudem müssen die Hygienevorschriften eingehalten werden“, berichtet Hohenhinnebusch.

Die SchülerInnen absolvieren drei mehrwöchige Betriebspraktika. „Zudem gibt es die Möglichkeit, freiwillig weitere Praktika zu machen. Das kann helfen, eine Lehrstelle bei einem Arbeitgeber zu bekommen, der zuvor noch keine hörgeschädigten Azubis hatte“, so Kolbe.

Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen, die zuvor noch keine Berührungspunkte mit der Beeinträchtigung hatten, seien zunächst in Sorge, wie der Umgang miteinander funktioniert. „Die Sorge lässt sich über die Praktika abbauen“, sagt Kolbe. Auch Betriebserkundungen gehören zum Konzept, etwa in einer Druckerei. Zudem werden die Werkstatttage an den Berufsschulen genutzt, um verschiedene Schwerpunkte, etwa Holztechnik, kennenzulernen.

Ab der siebten Klasse gibt es den Berufswahlpass. Er ermöglicht den SchülerInnen, ihren Berufsorientierungprozess zu dokumentieren, zu organisieren und zu reflektieren. Das soll ihn strukturieren und übersichtlicher gestalten. In der neunten und zehnten Klasse kommen dann ein Berufseignungstest und mehrere Einzelberatungen hinzu.

„Gute Berufsberatung sollte keine Beeinflussung sein. Jugendliche sollten angeleitet werden, eigene Interessen auszuleben“, so Jörg Nowag, Sprecher der Bremer Agentur für Arbeit. In der Berufsberatung gehe es darum, Ideen und Impulse zu setzen, aber auch, Termine, zum Beispiel für Bewerbungsfristen, zu beachten. „Die Jugendlichen sollten nicht in etwas hineinberaten werden, sondern durch den Prozess gelotst werden, bis die Wahl getroffen ist.“