Wer zahlt?

Bahnchef Grube hat ein Problem. Stuttgart 21 hat den Kostendeckel gesprengt. Doch die Partner Baden-Württemberg, Stuttgart und Region Stuttgart wollen keinen Cent mehr ausgeben. Jetzt scheint Ministerpräsident Kretschmann nachzugeben

von Hermann G. Abmayr

Wir sind keine Fundis“, verkündete Kretschmann Anfang der Woche bei der Landespressekonferenz. Auf die Frage, ob er eine Kostenerhöhung mittragen könne, antwortete der MP: „Das ist ein Frage der Größenordnung.“ Zur selben Zeit tagte die Landtagsfraktion der Grünen und beschloss, den SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel zurückzupfeifen, der mehr Steuergelder für Stuttgart 21 beziehungsweise den dazu gehörenden Flughafenbahnhof gefordert hatte.

Als die Meldung über das Einknicken von Kretschmann bekannt wurde, war das Entsetzen groß – bei der Chefstrategin in der Villa Reitzenstein, Staatsministerin Silke Krebs, genauso wie bei der Fraktionsspitze der Grünen. Ein Shitstorm brach über die Abgeordneten herein. Denn „Kretsch“, wie er intern genannt wird, hatte ein Tabu gebrochen. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der er sich als großer Sparkommissar in Szene setzte. Beispielsweise bei den Lehrern, denen er bis 2020 11.600 Stellen streichen will.Die grüne Fraktionschefin Edith Sitzmann hat sich deshalb erstmals seit 18 Monaten dazu entschlossen, dem Ministerpräsidenten öffentlich Kontra zu geben. „Die Deutsche Bahn hat zu erfüllen, was sie – nicht nur während der Volksabstimmung – zugesagt hat“, hieß es in einer eiligst verschickten Pressemitteilung. „In einer solchen Situation, ohne aussagekräftige Unterlagen dreistellige Millionenbeträge zu fordern und dabei die Vertragspartner mit Ultimaten unter Druck zu setzen, ist atemberaubend“, erklärte Sitzmann.

Da musste auch Kretschmann nach Luft schnappen. Schon kurz nach Sitzmanns Attacke ließ er über seine Pressestelle verkünden: „Der Kostendeckel bei Stuttgart 21 gilt. Bekanntermaßen gibt es den einstimmigen Kabinettsbeschluss vom 13. September 2011, wonach sich das Land an Mehrkosten oberhalb von 4,526 Mrd. Euro nicht beteiligen wird.“ Jetzt durfte sich auch der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann zu Wort melden, der Mann, dem Kretschmann in Sachen S 21 einst einen Maulkorb verpasst haben soll.

Nun darf man auf die kommende 148. Montagsdemo gespannt sein. Erstmals seit der verlorenen Volksabstimmung im November 2011 darf wieder eine prominente Grüne sprechen: Brigitte Lösch. Die Stuttgarter Landtagsabgeordnete (mit Direktmandat) und Landtagsvizepräsidentin muss erklären, warum Kretschmann kurzzeitig den Deckel gelupft hat und wie sie zu den Plänen der Bahn AG steht, weitere 100 alte Bäume im Rosensteinpark für S 21 zu fällen, obwohl noch wichtige Genehmigungen fehlen, wie die für das Abpumpen von großen Mengen an Grundwasser. „Für mich ist der Fall klar“, sagt die Abgeordnete, „bevor die Finanzierung von Stuttgart 21, der ungenügende Brandschutz und das noch nicht genehmigungsfähige Grundwassermanagement nicht geklärt sind, darf es keine weitere Zerstörung auf Vorrat geben“. Das gelte auch für die Bäume.

Ohne die Bürgerbewegung gegen den unterirdischen Bahnknoten säße Kretschmann heute weiter auf der Oppositionsbank. Seit dem umstrittenen Volksentscheid (über einen möglichen Ausstieg Baden-Württembergs aus der Finanzierung von Stuttgart 21) trägt der Ministerpräsident das Kreuz der direkten Demokratie mit Demut. Sagt er. Kritisch, wie er – auch im nebenstehenden Interview – behauptet, begleitet er seitdem den Bau des Stuttgarter Bahn- und Immobilienprojekts, das Kanzlerin Angela Merkel 2010 zur Chefsache gemacht hatte. Ob und wann der neue Bundesratspräsident mit der Bundeskanzlerin über Stuttgart 21 und den Kostendeckel sprechen wird, hat er noch nicht verraten.

Seiner Beliebtheit im Land hat die Volksabstimmung nicht geschadet. Er sei eben „ein guter Demokrat“, sagt er. Das kommt an. Und wenn es bei S 21 schiefgeht, wird der Polit-Profi erklären, er habe ja stets vor den Gefahren gewarnt. Klaus Wowereit hat diese Option in Berlin nicht.