Freie Fahrt nach schwarzer Woche

Tour de France Von dem Ausfall der besten zwei Fahrer im deutschen Bora-Team und dem Wegfall der großen Ziele könnte die zweite Garde um Emanuel Buchmann und Rüdiger Selig profitieren

Hofft auf die Bergetappen: Kletterspezialist Buchmann Foto: imago

PÉRIGUEUX taz | Einsam und verlassen steht der Bora-Bus am Start der 10. Etappe im kleinen Städtchen Périgueux. Die Menschenmassen, die sich letzte Woche noch vor der Tür geballt hatten, aus der Peter Sagan kommen musste, sind hier nicht zu sehen. Denn Sagan, der Superstar mit dem Rocker-Appeal, hat das Rennen längst verlassen. Disqualifiziert von der Jury, weil er den gestürzten Sprintkonkurrenten Mark Cavendish gefährdete.

Ein paar Tage nach Sagans Rauswurf hielten die Fans mit den großen slowakischen Fahnen dem Rennstall noch die Treue. Sagans Bruder Juraj fuhr ja auch noch mit. Die „Peter, Peter“-Rufe wurden in „Juraj, Juraj“ umgewandelt. Manchmal hieß es auch nur „Sagan, Sagan“. Über den Zuspruch für ihn war Juraj Sagan eher betrübt. Denn er kannte ja die Ursache. „Wie es mir geht? Peter fehlt mir. Das ist alles“, sagte er der taz knapp.

Nach dem Rauswurf von Peter dem Großen erwischte es auch noch den zweiten Bora-Kapitän Rafal Majka. Ein Sturz auf der 9. Etappe brachte das Aus. Maj­ka fuhr zwar noch die Etappe zu Ende. Am Ruhetag aber kam er zur traurigen Einsicht, dass es nicht mehr weitergeht.

„Wir haben gemeinsam entschieden, dass es nichts bringt, ihn weiterfahren zu lassen. Es gab zwar keine Brüche, aber die Hautabschürfungen waren zu großflächig“, sagte der sportliche Leiter Enrico Poitschke vor dem Start der 10. Etappe. Maj­ka selbst hatte zuvor über eine Pressemitteilung verkündet: „Nach diesem schweren Sturz macht es einfach keinen Sinn mehr weiterzukämpfen. Ich kann kaum atmen wegen der Schmerzen.“ Auch der Teamarzt hatte zu diesem Schritt geraten. „Für die Gesundheit des Fahrers war es sicherlich die beste Entscheidung, ihn aus dem Rennen zu nehmen. Er braucht jetzt erst einmal genügend Erholung“, meinte Jan-Niklas Droste. Das nennt man Konsens.

Majka fokussiert sich jetzt auf die Vuelta a España. Er richtet seine Hoffnungen nun auf eine fernere Zukunft.

Für die Gegenwart gilt: „Das war eine schwarze Woche für uns.“ So fasste Enrico Poitschke das erste Drittel der Tour zusammen. Beide Kapitäne draußen. Die großen Ziele Grünes Trikot und Top 5 im Gesamtklassement, eventuell auch das Bergtrikot, liegen in unerreichbarer Ferne. Der große Sprung mitten in die Weltelite hinein ist misslungen. Hinzu kommt, dass Boras zweiter starker Klassementfahrer Leopold König die Tour wegen einer Verletzung komplett auslassen musste.

Chance für die zweite Garde

Die Flinte ins Korn werfen will man bei dem Rennstall aus Raubling aber nicht. Der erste Touretappensieg des Teams durch Peter Sagan hat ja immerhin Bestand. Und jetzt gibt es Gelegenheiten für die nominell zweite Garde, sich auszuzeichnen. Dazu zählt etwa der Sprinter Rüdiger Selig. Zweimal in den Top 10 landete er bereits. Und er sieht noch Luft nach oben. „Top 5 wären schon gut“, sagte er. „Gegen die Top-Sprinter wie Kittel oder Greipel kommt er nicht an. Aber er ist stabil vorn mit dabei. Und wenn sich mal eine Gelegenheit ergibt, dann wollen wir sie auch nutzen“, so beurteilt Poitschke die weiteren Chancen.

Der zweite Hoffnungsträger ist Emanuel Buchmann. Der Kletterspezialist spekuliert in den nächsten Tagen auf eine Fluchtgruppe in den Bergen. Und der Rest des Teams hat jetzt ebenfalls freie Fahrt für die eigenen Ambitionen. „Das sind jetzt unsere Optionen“, stimmt Marcus Burghardt zu. Für den Oldie, der sich bereits Touretappensieger nennen darf, würde im Erfolgsfalle sogar ein Traum in Erfüllung gehen. „Mit dem deutschen Meistertrikot ein Etappensieg – das wäre großartig“, meint er. Burghardt weiß aber auch: „Es sind noch fast 180 andere Fahrer, die ebenfalls scharf auf einen Etappensieg sind. Das wird sehr schwer.“

Das Team sieht er nach den zwei Ausfällen aber wieder auf dem Weg nach oben. „Wir haben das weggesteckt. Und jetzt haben auch die anderen Fahrer Chancen“, meinte er. „Keep on Fighting“, fasst Sprinter Rüdiger Selig die Stimmungslage zusammen. Kämpfen und das Beste daraus machen. Bora lernt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das Team hat aber eine gewachsene Struktur, mit der die Rückschläge verkraftet werden sollen. Das ist ebenfalls Teil des Radsports.

Tom Mustroph