zwischen den rillen
: Eigentlich ist alles wie immer

Die Regierung: „Raus“ (Staatsakt/Caroline International)

Würde ich noch mal an dieser Kreuzung stehen, würde ich dann wirklich in eine andere Richtung gehen“, fragt der Sänger Tilman Rossmy im vierten Song des neuen Albums seiner Band Die Regierung. Und damit umreißt Rossmy das Projekt, das er verfolgt, ziemlich genau. Denn „Raus“, so der bestechende Albumtitel, ist das erste Lebenszeichen seiner Band seit sage und schreibe 23 Jahren. Und es ist ein Werk, das genau dies beschreibt: Wie es ist, sich dafür entschieden zu haben, raus zu sein, auf die Karriere zu pfeifen – und plötzlich zu merken, dass es Zeit geworden ist fürs erste Resümee, dass man älter geworden ist, um nicht zu sagen steinalt, denn Tilman Rossmy – man mag es kaum glauben – wird nächstes Jahr 60.

Aber von vorn. Die Regierung ist eine Band, die sich nicht mal eben so skizzieren lässt. 1984 erschien ihr Debütalbum, das kaum beachtet wurde, es hieß „Supermüll“. 1990, 1992 und 1994 erschienen drei weitere – und während andere Bands in Hamburg wie Blumfeld etwa zur selben Zeit begannen, sich immer lauter, komplizierter und verspannter zu gebärden und sich in ihren überdrehten Referenzen zu verlieren, interessierten sich Rossmy und die Seinen eigentlich immer nur weiter dafür, ihre Storys zu erzählen; Geschichten ohne jede Pointe, ohne saubere Reime, manchmal, dafür aber offen und direkt, von „ganz tief ­unten“.

Manchmal handelte so ein Rossmy-Song einfach nur davon, wie es ist, wenn man jemanden wieder „loswerden“ will. Das war entwaffnend. So Punk, so zwischen Tür und Angel, so radikal ambitionslos und aus der Hüfte, so uncool, dass es schon wieder ultracool war. Und das bescherte der Regierung eine kleine, sehr treue Fangemeinde, die die Künstler aber nicht davor bewahrte, nach den Achtzigern, Ende der Neunziger ein zweites Mal aufzugeben. Denn ihre Kunst wird wohl kaum je gereicht haben, um davon auch nur eine Monatsmiete bezahlen zu können.

23 Jahre später also erscheint nun ein Alterswerk. Und wie das so ist mit alten Freunden, die irgendwie auf dem Boden und sich doch, absolut unopportunistisch, treu geblieben sind und nie selbstzufrieden, klingt es auch beim Anhören von „Raus“ so, als wäre bei der Regierung alles wie immer. Tilman Rossmy, der zwischendurch ein bisschen Country ausprobiert hat, in Süddeutschland und in der Schweiz das Glück zu finden versucht hat, kann immer noch kaum den Ton halten. Der alte Nassauer nuschelt und nölt eher, als er singt, und er hängt weiterhin an manchen Reim noch drei, vier schnelle Nebensätze, die überhaupt nicht ins Schema passen. Die Songs laufen oft einfach aus, erledigen sich von selbst, haben nach wie vor keine Pointe.

Aber ist das nicht toller denn je? Wer käme in Zeiten, in denen Popsongs oft wasserdicht und weichgespült daherkommen, auch nur auf die Idee, einen Song zu komponieren, der keine Pointe hat?

Tilman Rossmy beweist auf „Raus“, dass er noch immer einer der besten deutschsprachigen Sänger ist, die es je gegeben hat. „Würde ich diese Zeilen noch einmal schreiben, würde ich dann immer weiter an ihnen feilen, bis ich ganz zufrieden wäre“, fragt er in jenem vierten Song des Albums mit der Kreuzung weiter, der übrigens den schönen Titel „Konjunktiv 2“ trägt.

Würde er vielleicht.

Aber dann wäre er nicht mehr der Sänger, der als Außenseiter auf die Welt blickt. Und man könnte „Raus“, das neue Album von der Regierung nicht so lieben wie das Werk, das man nun überglücklich in Händen hält.

Susanne Messmer