der rote faden : Basti Fantasti und die Post-Truth-Politik
durch die woche mit
Robert Misik
Man kann auch als recht junger Mann ein sehr, sehr alter Apparatschikpolitiker sein, und wenn sich dann auch noch Geschick dazuschlägt, kann man dabei sogar irgendwie frisch aussehen.
Das beste Exempel dafür ist der neue Chef der österreichischen konservativen Volkspartei, ÖVP, Sebastian Kurz. Oder genauer gesagt der Chef der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“. Denn die alte, rostige Tante wurde neu angepinselt und umbenannt, nachdem der jugendliche Außenminister die Partei übernommen hat. Alles soll ganz modern aussehen beim neuen Parteichef – Spitzname Basti Fantasti –, der zum Amtsantritt gleich einmal vorgezogene Neuwahlen vom Zaun gebrochen hat.
Kurz hat hervorragende persönliche Zustimmungswerte. Teils, weil er als jung und deshalb frisch gilt. Teils, weil er gut reden kann und beim Sprechen nicht verunfallt, was in Österreich keine Selbstverständlichkeit ist. Vor allem aber, weil er sich seit zwei Jahren zum Sprachrohr der Ressentiments gegen Ausländer, Islam und Flüchtlinge gemacht hat. Dabei ist er insofern geschickt, als er zwar Ähnliches sagt wie rechtsradikale Ausländerfeinde, aber in einem ansprechenderen Ton und mit einer Wortwahl, die für die „rohe Bürgerlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) genau passend ist, die auch findet, dass „die“ alle irgendwie rausgehören, aber sich dafür nicht schämen möchte.
Es ist nicht einmal unmöglich, dass Kurz im Herbst Kanzler wird und seine ÖVP auf Platz eins führt, wenngleich eher wahrscheinlich ist, dass viele Wähler dann noch zurückschrecken, so nach dem Motto: Er ist schon talentiert, aber Kanzler ist der Bursch noch keiner.
Das Problem mit Kurz ist seine von keinerlei Moral und keinerlei Wertegerüst angekränkelte Skrupellosigkeit. Vor fünf Jahren war er als Integrationsstaatssekretär noch der Meinung, Österreich habe „zu wenig Willkommenskultur“, heute meint er so zirka das genaue Gegenteil. Er sagt heute was anderes, weil er es heute für nützlicher hält, etwas anderes zu sagen, wohingegen er vor fünf Jahren das Gegenteil für nützlich hielt.
Wie weit die Skrupellosigkeit von Kurz geht, enthüllte vergangene Woche der Wiener Falter. Eine Studie über angebliche Skandale in Wiener „Islamkindergärten“ – also Kindergärten, die von im weitesten Sinne muslimischen Trägern betrieben werden – hatte Kurz seit Monaten schon zu einer doppelten Kampagne genutzt, nämlich gegen die Muslime, die Parallelgesellschaft und das rot-grüne Wien, das diese Parallelgesellschaft angeblich fördert, ohne hinzuschauen.
Nun stellte sich heraus: Die Studie, immerhin von einem Islamwissenschaftler, der an der Universität Wien eine Professorenstelle ergattert hat, war von Kurz’ Ministerium arg verfälscht worden. Teilweise wurden die Thesen des Professors in ihr Gegenteil verkehrt. So stand ursprünglich im Text: „Das Kind soll selbständig, respektvoll und liebevoll erzogen werden.“ Die neue Passage lautet nun: „Bisweilen sollen Kinder auch vor dem moralischen Einfluss der Mehrheitsgesellschaft geschützt werden.“ Zig solche haarsträubenden Stellen finden sich. Und, wohlgemerkt, nicht der Studienautor hat, etwa auf sanftem Druck hin, die Stellen umgeschrieben – das Redigieren wurde praktischerweise gleich im Ministerbüro von dortigen Bediensteten erledigt. Studienautor Ednan Aslan, als Wissenschaftler wohl erledigt, redet sich seit der Enthüllung nur mehr um Kopf um Kragen. Wie man als Wissenschaftler so etwas mit sich machen lassen kann, harrt einer vernünftigen Erklärung.
Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Studie war dem Außen- und Integrationsministerium nicht ausländerfeindlich genug, weshalb man sie einfach aufpfefferte. Um sie im Wahlkampf oder sonst wie nützlich einzusetzen. Post-Truth-Politik hatte Kurz offenbar schon verstanden, bevor das Wort überhaupt erfunden war.
Skurrile Pointe: Die Bearbeitungsverläufe, die dem Falter zugespielt wurden, legen den Verdacht nahe, dass sogar der damals zuständige Sektionschef im Ministerium, ein enger Kurz-Intimus, die Finger im Spiel hatte. Der Mann schrieb noch vor drei Jahren in einem Politikjahrbuch, dass Emotionalisierung, „aber auch Wahlkämpfe“ das Meinungsklima vergiften und Integration erschweren könnten und dass man als Politiker bedenken müsse, dass man damit dem Land und den Leuten schade.
Nun ja, der Mann weiß offenbar, wovon er spricht. Aber das ist eines von diesen Dingen, wo man üblicherweise sagt: Kannste nicht erfinden.
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