Beglückende Verdi-Verve

Spielzeiteröffnung am Goetheplatz mit Guiseppe Verdis „Rigoletto“: Eine Inszenierung ohne Rätsel- und Deutungsbedarf

Der Herzog fährt verschmutzt auf einem knatternden Motorrad herein, seine Höflinge wirken in ihren weißen Anzügen wie Mafiosi, nur der verunstaltete Rigoletto trägt das historische Narrenkostüm. Und in der ersten Premiere des Musiktheaters am Bremer Goetheplatztheater erinnert der verwaiste renaissancehafte Thronstuhl auf so einer Art Schiffsdeck an die historische Spielzeit des Librettos von Giuseppe Verdis „Rigoletto“.

„Rigoletto“ spielt in Mantua im sechzehnten Jahrhundert. Regisseur Andrej Woron, stets auch sein eigener Ausstatter und Bühnenbildner, hat mit der bei ihm stets übersprudelnden Bildphantasie ein hinreißendes, wunderbar ausgeleuchtetes Bühnenbild gebaut. Während die Welt des Herzogs sich auf dem schrägen, drehbaren Schiffsdeck abspielt – mit einem unterirdischen Kerker, in dem er Gilda vergewaltigt –, liegt darunter das sonnendurchflutete Palmenzimmer Gildas und die Kneipe des gedungenen Mörders Sparafucile. Dass Rigoletto aus Sicherheitsgründen die Tür immer geschlossen haben will, verleitet Woron zu witzigen Effekten des ständig Öffnens und Wiederschließens.

Bis auf die Verlegung in die Welt der Mafiosi – die auch schon viele Vorbilder hat – gibt es keine Deutungen, an denen man herumrätseln muss. Das bekommt der Aufführung gut, Woron arbeitet klar die einzelnen Glücks- und Leidenslinien aus, die Verdi durchaus als politische Kampfansage verstanden haben wollte. Das Gewicht liegt bei Woron allerdings auf den Kammerszenen wie der Liebe Rigolettos zu seiner Tochter, deren Liebe zum Herzog, der Entdeckung der Leiche ... Die grauenhafte Atmosphäre am Hof von Mantua, wo der Herzog eine Frau nach der anderen vergewaltigt, ist zu sehr geschönt, zu sehr gestellte Oper, recht wirkungslos verpufft die bezeichnende Episode mit der Gräfin Ceprano. Da wirkt der alte Monterone, der seinen Fluch über die ganze Gesellschaft so fürchterlich schleudert, eher fehl am Platz. Kaum was davon zu merken, dass die Oper ursprünglich „Der Fluch“ heißen sollte.

George Stevens in der Titelrolle: Ein großer Singschauspieler, der in unendlich vielen Nuancen die Figur vom zynischen Mitmacher bis zum Verzweifelten gestaltet, der am Ende seinen eigenen Machenschaften erliegt. Da reicht sein Gegenspieler Emmanuel di Villarosa als Herzog nicht heran: Der konnte vom Rampentenor leider zu wenig ablegen. Gesungen hat er allerdings makellos und hinreißend.

Die Palme des Abends gebührt neben Stevens Jennifer Bird, die einmal mehr deutlich macht, dass für Oper heute Singen allein nicht ausreicht. Sie war eine derart ergreifende Gilda, dass man stellenweise nicht glaubte, im Musiktheater zu sein, so zwingend gelang es ihr, das Singen in ein ganz natürliches Handeln der Person zu überführen. Dass sie sich kurz vor ihrem Tod mit dem Messerstich im Bauch noch einmal zum Stehen und sogar Gehen zu ihrem Vater aufraffen kann, zählt zu den großen Glücksmomenten dieser Inszenierung. Kristjan Moisnik als Sparafucile und Yaroslawa Kozina als seine verführerische Schwester Maddalena rundeten das Bild für den begeistert angenommenen Abend.

Natürlich sind die Bremer Philharmoniker eigentlich nicht zuletzt zu nennen: Was da an Verdi-Verve klang, ohne je draufgängerisch platt zu wirken – es gibt ja viele „Hits“, die geradezu dazu verleiten –,war unter der Leitung von Generalmusikdirektor Lawrence Renes durchgehend überzeugend. Und wie komplex diese Partitur ist, hört man nur, wenn Strukturen und Stimmen freilegt werden. Das war beglückend der Fall. Ute Schalz-Laurenze

Die nächste Aufführung: Samstag, 24. September, um 19.30 Uhr im Opernhaus am Goetheplatz