Emotio schlägt
Ratio

Kommentar

von Stefan Alberti

Der Senat dringt bei der Tegel-Debatte mit Vernunft nicht durch

Argumente fehlen dem rot-rot-grünen Senat nicht, wenn es um die Schließung des Flughafens Tegel geht. Viele tausend neue Wohnungen, die Hälfte davon angeblich auch mit kleinem Einkommen bezahlbar, 20.000 neue Jobs und nicht zuletzt kein Fluglärm mehr für rund 300.000 Menschen in Pankow und Reinickendorf. Und, wenn auch weniger greifbar, nicht länger die Gefahr eines Flugzeugunglücks über dicht besiedeltem Stadtgebiet. Gute Argumente sind das, rational schwer zu widerlegende. Sie scheinen aber nicht zu ziehen – siehe Umfragen und CDU-Mitgliedervotum – und das macht den rot-rot-grünen Senat doch zunehmend nervös.

Dabei hätten die Strategen bloß zurückschauen müssen auf jenen Volksentscheid, bei dem es schon mal um die Offenhaltung eines Flughafens ging: 2008 in Tempelhof. Die sachlichen Argumente waren auch da auf der Seite des damals rot-roten Senats, und trotzdem sprachen sich bei der Abstimmung über 60 Prozent für einen Weiterbetrieb aus. Nur eine zu geringe Beteiligung verhinderte einen Erfolg des Volksentscheids, der anders als der am 24. September nicht parallel zu einer Bundestagswahl ablief.

Auch damals stand die Gefühlslage den guten Argumenten gegenüber, die Emotio der Ratio. Wer das Bestehende mag, hält eben gern daran fest, auch wenn es objektiv nicht gut ist – wie am falschen Essen, am Alkohol, am Partner trotz aller Probleme. Und anders als beim Volksentscheid 2008 gibt es nun dazu den Faktor BER, die Verärgerung über immer neue Verzögerungen und die gefühlte Unfähigkeit der Politik, die Lage in den Griff zu bekommen.

Diese Emotio ist aber keine liebenswert-kuschelige, sondern beinharte Eigen- statt Nächstenliebe: Am 24. September stimmen nämlich jene ab, die schon in Berlin sind, die größtenteils keine jener angekündigten Wohnungen brauchen, genauso wenig wie einen der dortigen Arbeitsplätze. Und jene 300.000 Pankower und Reinickendorfer, die ohne Tegel vom Fluglärm befreit wären, sie machen halt nur ein Zwölftel der Berliner Bevölkerung aus.