In der Mitte zerteilt

Kunst In „Zwischen Räumen“ stellt das ZKR im Schloss Biesdorf Gordon Matta-Clarks wegweisende Arbeiten aus den 1970er Jahren zeitgenössischen Positionen und solchen aus dem Kunstarchiv Beeskow gegenüber

Simon Faithfull, 0°00 Navigation, 2009 Foto: Simon Faithfull/ZKR

von Beate Scheder

Als Prolog gibt es eine Utopie in Videoform: Gordon Matta-Clarks „Treedance“, Aufnahmen aus dem Jahr 1971, Tänzer in einem Baum nahe dem Vassar College. Die Krone ist bestückt mit Strickleitern und hängenden Kokons, sie klettern daran entlang, baumeln zwischen den Ästen, bewegen sich wie Akrobaten, bilden eine temporäre Gemeinschaft von Freigeistern, festgehalten auf 16-mm-Film. Die Arbeit hängt im Vorraum zur zweiten Gruppenausstellung im ZKR, dem im vergangenen Herbst eröffneten Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum im Schloss Biesdorf.

Genau der richtige Ort also, um sich mit Matta-Clark zu beschäftigen, dem viel zu früh, mit nur 35 Jahren, 1978 verstorbenen Künstler und Architekten, und mit dessen großem Thema, dem Stadtraum und seinen Bedingungen. Wie keiner vor und kaum einer nach ihm hatte er diesen auseinandergenommen, teils wortwörtlich: Bekannt wurde er mit seinen „Cuttings“, seinen Schnitten durch Häuserwände. Die Gemäuer existieren längst nicht mehr, jedoch dokumentierende Fotos wie von „Conical Intersect“, das hier, am Rande Berlins, einen Blick durch ein kreisrundes Loch in der Wand eines Pariser Abrisshauses gewährt.

Gordon Matta-Clarks Interventionen im urbanen öffentlichen Raum waren geprägt vom massiven Wandel, der sich im New York der 1970er vollzog, von der Verwahrlosung der Innenstädte, vom Wegzug der Mittelschicht in die Vororte. Der Künstler zersägte Häuser als Protest gegen eine Form des städtischen Bauens, die mehr auf Profit als auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner ausgerichtet ist. Die Radikalität, mit der Matta-Clark sich seinem Thema widmete, hat auch heute nichts an Kraft verloren. Die Diskurse gleichen sich auf fast schon gruselige Art und Weise; nur dass sich die Fronten gerade in Berlin verhärtet haben.

Kein Wunder also, dass Matta-Clarks Werk nach wie vor zahllosen Künstler_innen als Referenz für die Auseinandersetzung mit Räumen, Grenzen und Geografien dient. Im ZKR ist eine Auswahl zu sehen, im Dialog mit Matta-Clark und mit Arbeiten aus dem Kunstarchiv Beeskow.

Zum Beispiel Simon Faithfull, der – so wie Matta-Clark Abrissgebäude in der Mitte zerteilte – den Erdball vermisst. In „0°00 Navigation Part 1 – A Journey Across England“ (2009) und „0°00 Navigation, Part 2 – A Journey Across Europe And Africa“ (2015) läuft Faithfull entlang des Nullmeridians geradeaus, ganz gleich, was sich ihm in den Weg stellt, Zäune, Häuser, Meere. Oder Isa Melsheimer, die Hamburgs Elbphilharmonie auseinandernimmt. Sie präsentiert ein Modell des Kaispeichers A, einst Lager für Handelsgüter, heute Sockel des Konzerthauses: eine graue, funktionslose Gebäudehülle mit Loch an der Decke. Die Elbphilharmonie gibt es in Melsheimers Vision nicht mehr.

Die stärksten Positionen sind diejenigen, die sich wie Matta-Clark ganz konkret an Strukturen und Dynamiken abarbeiten. Ein Wiedersehen gibt es etwa mit dem „Skulpturenpark Berlin_Zentrum“, den das Künstlerkollektiv KUNSTrePUBLIK 2006 auf einer Brachfläche in der Nähe des Spittelmarkts errichtete und zum Schauplatz zahlreicher künstlerischer Interventionen machte. Die Ausstellung zeigt eine Karte des Areals, dessen Transformation inzwischen abgeschlossen ist. Heute stehen dort Townhouses und Bürokomplexe und KUNSTrePUBLIK ist in einen ehemaligen Güterbahnhof in Moabit umgezogen. Neben der Karte ein Video der KUNSTrePUBLIK-Performance „Land’s End“ aus dem Jahr 2010: ausgebrannte Autos im Kreis, aus denen bekannte Opernarien mit neuen Texten erklingen. Statt von den Tücken der Liebe singen die Stimmen von den Ansprüchen und Gefechten um den urbanen Raum. Marketingsprech trifft auf die Wut der Aktivisten, Interessen von Anwohnern auf die von Investoren.

Andere, frühere Ansichten Berlin zeigt die Auswahl von Arbeiten aus dem Kunstarchiv Beeskow – zeichnerische, malerische und fotografische. Etwa die Stadtgestalten, flüchtige Augenblicke und Blicke aus Berlin, New York, Paris oder anderswo, die Sibylle Bergemann festhielt, ohne Ortsangabe, weil es ja doch „Immer derselbe Himmel“ – so der Titel – ist.

Bergemanns Fotografien stehen für sich, noch heute. Den übrigen der Beeskower Arbeiten hätte ein wenig mehr Einordnung gut getan. Der historische Teil der Ausstellung im unteren Geschoss fällt ab, im Vergleich zu Matta-Clark, aber auch zu den zeitgenössischen Positionen. Besser also länger oben verweilen. Auch da sind die Positionen disparat, doch die Zusammenstellung ergibt ein stimmiges, vielstimmiges Bild über die Zeiten und Orte hinweg. Was bleibt dann noch? Ein letzter Blick zurück aufs Schloss, auf die Arbeit von raumlabor­berlin, die schon von außen zu sehen ist: „Bye Bye Utopia“ steht da. Hoffentlich nicht.

Bis 8. Oktober, ZKR Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55, 12683 Berlin, Mi., Fr.–Mo. 10-18 Uhr, Do. 13–21 Uhr, Di. geschlossen