„Es kommt zur großen Koalition“

Die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz ist mit ihrer Bundestagskandidatur knapp gescheitert. Rot-Rot-Grün im Bund hält sie für unrealistisch. Auf Landesebene schließt sie das für 2006 aber nicht aus

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE

taz: Frau Klotz, es war so knapp. Nur 0,3 Prozentpunkte mehr, und Sie wären über die Landesliste der Grünen in den Bundestag eingezogen. Was kommt nach Ihrer ersten Trauerphase?

Sibyll Klotz: Durchatmen, viele Gespräche und ein Urlaub. Und nach den Herbstferien werde ich gemeinsam mit der Partei und der Fraktion überlegen, wie wir die grünen Perspektiven für 2006 angehen. Sicher ist: Bis zu den Vorstandswahlen im Januar bleibe ich Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus.

Allein am Bundestrend kann das Berliner Ergebnis nicht gelegen haben. Die Bundespartei hat nur 0,4 Prozentpunkte weniger eingefahren als vor drei Jahren. In Berlin rutschten sie von 14,6 auf 13,7 Prozent.

Moment! Wir haben in Berlin seit Jahren eine Sondersituation, und zwar die parallele Existenz von PDS und Grünen. Diese Konkurrenz ereilt jetzt langsam auch den Bund. Gemessen an den Voraussetzungen bei diesen vorgezogenen Wahlen haben wir ein Superergebnis hingelegt. Wir haben im Verhältnis zu den Europa-Wahlen 44.000 Stimmen dazugewonnen, vor allem im Osten. Und dass Christian Ströbele erneut das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg errungen hat, ist auch ein positives Signal.

Ströbele denkt laut über eine rot-rot-grüne Bundesregierung nach – anders als SPD und Grüne. Was raten Sie Ihrem Parteifreund?

Ich sage ihm: Christian, guck dir an, welche Politik die Linkspartei in Berlin macht. Und dann überleg, ob sie wirklich so links ist. Außerdem haben sich Gysi und Lafontaine ganz klar auf die Oppositionsrolle festgelegt – auch gegen Rot-Grün.

Aber seit wenigen Tagen scheinen ja viele bisher undenkbare Koalitionen vorstellbar zu sein. Ist die Diskussion um Schwarz-Gelb-Grün nur Poker oder eine echte Option?

Es ist doch schon eine Sache des Anstands, dass man auf Gesprächsangebote von anderen Parteien eingeht, egal ob CDU oder SPD. Deshalb kann ich auch die Weigerung seitens der FDP nicht verstehen, mit der SPD zu reden. Aber selbst meine blühende Fantasie reicht nicht aus, um mir vorzustellen, wie die Grünen in einer Jamaica-Koalition Angela Merkel zur Macht verhelfen. Immerhin haben wir gerade noch gegen CDU-Vorhaben Wahlkampf geführt: gegen die Kopfpauschale, die Verlängerung der Restlaufzeit von Kernkraftwerken, die Flat-Tax …

Worauf läuft Ihrer Meinung nach der Koalitionspoker hinaus?

Ich schätze, es kommt es zu einer großen Koalition der Wahlverlierer: Schwarz-Rot.

Zieht sich Joschka Fischer deshalb von allen Parteiämtern zurück – weil die Grünen eh in der Opposition landen werden?

Da müssen Sie ihn selbst fragen.

Stehen die Chancen für Rot-Rot-Grün auf Landesebene nicht weitaus besser als im Bund? Die Berliner Linkspartei ist viel handzahmer als deren Bundesebene.

Die programmatischen Schnittmengen mit der Linkspartei sind natürlich größer als die mit der CDU oder der FDP. Das liegt aber auch einfach daran, dass die Linke ganz große Teile ihrer Inhalte bei uns abgeschrieben hat.

Abgeschrieben?

Aber hallo! Ich empfehle den Wahlomat-Test im Internet. Der wird Ihnen die großen Überschneidungen bestätigen. Das kann ich der Linkspartei aber gar nicht vorwerfen: ist ja auch ein sehr gutes Programm.

Aber Wahlprogramme sind etwas anderes als Regierungspolitik.

Eben. Die Frage ist, wie viele Inhalte wir in der nächsten Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus durchbekommen. Beispielsweise wollen wir mehr in Bildung investieren. Und das Thema Ökologie interessiert die Rot-Roten bisher gar nicht. Wenn wir bei diesen Themen keine deutlichen Verbesserungen durchbekommen, würde es uns sehr schwer fallen, uns an einer Regierung zu beteiligen.

Bei aller Trauer über die vertane Chance: Vielleicht lockt ja früher als gedacht nicht der Berliner Senat, sondern eine neue Bundestagswahl.

Jetzt gilt es, aus dem Wahlergebnis eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Dennoch: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Vielleicht klappt’s ja nächstes Mal.