Der Kolumnengipfel

Treffen In Hamburg kommen G-20-Politik und Tausende Demonstrant_innen zusammen. Drei Kolumnist_innen berichten ab morgen im Wechsel auf den taz-Sonderseiten aus ihren Blickwinkeln über das Gipfelgeschehen

Keine Gastfreundschaft für Menschenrechtsverletzer
: Wohnen in der Roten Zone

G-kacken

Silke Burmester

Frau Merkel hatte ein dumme Idee. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz fand die super, weswegen dort, wo ich wohne, nun ein „Festival der Demokratie“ gefeiert wird. So nennt Innensenator Andy Grote, den G-20-Gipfel.

„Dort, wo ich wohne“ – das ist das als Keimzelle und Trutzburg linker Gesinnung geltende Karoviertel mit der angrenzenden Radikalenhochburg „Schanze“, wo man immer wieder über die Menge erkennbarer Autonomer staunt, die den Weg an die Luft finden. Hier nun lädt Scholz zum Tyrannenaufmarsch und nennt das „Festival der Demokratie“. Besser hätte es Sean Spicer auch nicht formulieren können.

Seit Wochen knattern die Hubschrauber über unseren Dächern. Seit dem Winter stehen Tag und Nacht Polizeiwagen an den Gebäuden der Messe, am Anfang habe ich mehrmals die U-Bahn verpasst, weil ich nicht mehr bei Rot über die Straße gehen mochte. Abends kommt – wie bei den Obdachlosen – ein Wärmebus vorgefahren und bringt heiße Getränke. Das ist sehr niedlich anzuschauen.

„Überall stehen ­Polizisten. Ich traue mich kaum noch, bei Rot über die Straße zu gehen“

Überhaupt „niedlich“. Es ist auffällig, dass bis vor Kurzem nur ausgewiesen hübsche und adrette Polizisten und Polizistinnen rumstanden. Ich nutze ja gern die Gelegenheit, dass die nix zu tun haben, und erkundige mich nach Verkehrsregeln, dem Punktepotential von Verstößen und nach dem G 20.

Und abgesehen davon, dass bislang jeder einzelne Beamter den G 20 an diesem Ort als völligen Bockmist einschätzt, war keiner dabei, der nicht ausnehmend gut aussieht. So Kalendermann-ich-ziehe-Monat-für-Monat-meine-Uniform-mehr-aus-gut. Das könnte erklären, dass schon seit Wochen Verstärkung aus anderen Bundesländern vor Ort ist. Hamburg hat einfach nicht genügend top-sexy Beamte für das Dauerfestival der Demokratie.

Apropos Sex. Da ich als Anwohnerin nicht gefragt wurde, wie ich das so finde mit dem Festival und meine Gastfreundschaft bei Menschenrechtsverletzern endet, würde ich es gern stören. Meine Idee: Fickgeräusche. Ich überlege, Lautsprecher mit enormer Kraft in die Fenster meiner Wohnung zu stellen, und Pornogestöhne laufen zu lassen. „Oh! Oh! Harder! Harder!“ Wenn das nicht stört, dann weiß ich auch nicht.

Silke Burmester war sieben Jahre lang für die taz an der Medienfront im Einsatz. Mit dem G 20 kommt das Übel nun vor ihre Haustür. Ein Grund, den Helm wieder aufzusetzen

Wer zu einer ethnischen Minderheit gehört, hat nicht dieselben Probleme wie weiße linke Autonome
: Nicht meine Kämpfe

G-nervt I

Leyla Yenirce

Wenige Tage bis zu den Protesten und alles dreht sich um die eine Sache. Wer kommt wo unter? Was ziehe ich an? Wird es genügend veganes Essen für alle geben? Viel wichtiger aber: Wer wird wo demonstrieren? Und wieder macht sich ein Gefühl in mir breit, dass ich aus meiner linken Jugend kenne.

Ich suchte den Kontakt zu linken Jugendlichen, aber irgendwie passte ich nicht rein ins autonome Zentrum meiner Stadt. Außerdem halte ich eh nicht viel von Gruppen. Aber erst als es darum ging, sich gemeinsam an Demos zu beteiligen, merkte ich, warum ich ein Alien war.Als Teil einer ethnischen Minderheit, die seit drei Jahren unter einem angehenden Genozid leidet, sind meine Probleme andere als die meiner weißen linken Freunde. Die Kämpfe, die sie kämpfen, sind nicht meine. Ich muss erst mal meine Existenz sichern, ehe ich diese Existenz schöner machen kann. Wie soll ich gegen G 20 protestieren, wenn sich über 3.000 êzidische Frauen und Kinder noch immer in den Händen des IS befinden? Muss ich dann nicht erst für sie demonstrieren, weil mir ihr Leben wichtiger erscheint, als genmanipulierter Mais oder dem Zusammentreffen von einem Haufen Bekloppter (Angie, du bist nicht gemeint)?

Es ist kompliziert. Genauso kompliziert wie das Leben in der Diaspora. Der weiß sozialisierte Teil meiner Identität kann sich auch einfach mal freuen, dass es nicht um Leben oder Tod geht, während der andere Teil, der sich permanent mit dem Genozid auseinandersetzt, am Dienstag zur Demo gegen strukturelle Gewalt an Frauen geht. Die einzelnen Teile gehören ja eh alle irgendwie zusammen und solidarisch lassen sich unterschiedliche Kämpfe gemeinsam führen, egal wer wie mit ihnen verbunden ist.

Aber es wird nicht darüber hinwegtäuschen, dass manche Kämpfe privilegierter sind als andere. Deswegen werde ich bei G 20 auch dabei sein. Aber während sich Autonome mit Bullen kloppen, schaue ich zu und hoffe, dass es bei der Offensive auf Raqqa noch ein paar êzidische Frauen und Kinder mehr aus der Gefangenschaft geschafft haben.

Leyla Yenircearbeitet als Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Künstlerin in Hamburg. Die Kolumne schreibt sie im Wechsel mit Alexander Nabert.

Vielleicht werden nach dem G-20-gipfel in der Roten Flora Sektkorken knallen. Aber erfolgreich werden Linke nicht sein
: Die Welt behält ihr Gleichgewicht

G-nervt II

Alexander Nabert

Es bringt doch alles nichts. Seit Wochen mobilisiert die radikale Linke zu Protesten gegen den G-20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg. Mit allem, was dazu gehört: Plakate, Sticker, Graffiti, Vorträge, Facebook-­Videos, Twitter-­Accounts, Hashtags, Aktionstrainings, Brand­anschläge. Das volle Programm. Recht routiniert geht es da zu, in der radikalen Linken. Scheint so, als sei ihr die Spontanität endgültig abhanden gekommen. Man macht das halt so.

Eigentlich falle ich in die Zielgruppe. Ich kann halbwegs schnell laufen und halte nicht besonders viel vom Kapitalismus. Doch was soll der Protest bringen? Auf der Webseite von „Block G20“, einer Initiative, die mittels zivilem Ungehorsam und Blockaden gegen den Gipfel vorgehen will, kann man lesen: „Unser Ziel ist es, den Ablauf des G-20-Gipfels spürbar zu stören und die Inszenierung der Macht, die der Gipfel darstellt, zu brechen.“ Es drängt sich die Frage auf, ob „die Macht“ besser wäre, wenn sie sich nicht in Szene setzen würde. „Wir handeln in der Tradition von Block G 8 aus Heiligendamm, Dresden Nazifrei, Castor schottern, Ende Gelände oder Blockupy“, heißt es im Aufruf. Sieht man von Dresden Nazifrei ab, hat nichts davon irgendetwas geändert. Wobei, doch – Blockupy hat immerhin dem Auftragsbuch von Carglass ein paar neue Einträge beschert. Der routinierte Protest, der sich radikal gebärdet, bleibt ansonsten folgenlos. Der Berliner Künstler Grim104 rappte einmal: „Egal, wie viel Flaschen wir auch schmeißen / Es ändert nichts / Egal, wie hart wir pogen / Die Welt behält ihr Gleichgewicht“.

Die Politik der Gipfelteilnehmer wird sich nicht ändern und der Kapitalismus nicht in sich zusammenbrechen. Selbst dann nicht, wenn superkritische Manifeste direkt vor dem Tagungsort von brennenden Barrikaden verlesen würden oder die Limousinen der Staatschefs wegen Blockaden etwas Verspätung hätten. Aber es geht ja auch nur darum, die „Inszenierung“ zu „brechen“. Also im besten Fall darum, dass neben Gipfel-Händeschütteln auch ein wenig Demo-Geschehen in der „Tagesschau“ gezeigt wird.

Alexander Nabertverkauft seine Arbeitskraft in Berlin, meist an Publikationen wie die Jungle World oder die Jüdische Allgemeine. Er schreibt im Wechsel mit Leyla Yenirce.