THEATER

TheaterEsther Slevogtbetrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Während noch immer der Kampf um den Intendanzwechsel an der Volksbühne tobt, diesem postnationalen Nationaltheater, wo ein Vierteljahrhundert lang die Wunden künstlerisch behandelt wurden, die das 20. Jahrhundert der Stadt- und Landesseele schlug, und die nur schlecht verheilten Narben der nach 1989 hastig zusammengenähten Stadthälften, hat am Stadtrand, ganz oben im Norden, ein neues Nationaltheater eröffnet: das „Nationaltheater Reinickendorf“. Es öffnet just an jenem 1. Juli seine Pforten, an dem Castorfs Volksbühne für immer schließt. Betreiber dieses sonderbaren Theaters in einer ehemaligen Fabrik am Eichborndamm sind die Radikaltheatermacher Vegard Vinge und Ida Müller aus Norwegen, deren Obsession der Dramatiker Henrik Ibsen ist. Ibsen hat in seinen Dramen das von der Ökonomie zersetzte bürgerliche Leben verhandelt und Vinge/Müller aus diesen Stoffen bereits in der Vergangenheit surreale und bildmächtige Szenarien gebaut, die jede herkömmliche Vorstellung davon sprengen, was überhaupt eine Theateraufführung ist. Zuletzt gab es 2013 das 12-Spartenhaus im Prater der Volksbühne, das sich manchmal über 12 Stunden lang hinzog, und dessen Glutkern (zu dem es freilich Ausdauer brauchte) Ibsens Stück „Ein Volksfeind“ war. Jetzt, wie gesagt, das „Nationaltheater Reinickendorf“, über das bisher kaum mehr bekannt ist, als dass es am 1. Juli eröffnet wird. (Alle Infos: www.nationaltheaterreinickendorf.com).

Produziert wird das „Nationaltheater Reinickendorf“ von den Berliner Festspielen. Da passt es, dass dieses Exzess-Theater auch die diesjährige Ausgabe des Programms „Immersion“ der Berliner Festspiele eröffnet, das Theaterformen und -formate zeigt, die sich auf die Fahnen schrieben, das herkömmliche Gegenüber von Zuschauer und Kunstwerk aufzuheben, weil es vom Zuschauer ein „Hereingehen“ in das Kunstwerk verlangt, das nicht wahrnehmbar wird, solange man nicht bereit ist, ein Teil davon zu werden. Im Martin-Gropius-Bau eröffnet parallel zum Nationaltheater die Schau „Limits of Knowing“ mit Arbeiten u. a. von Chris Salter + TeZ, Mona el Gamal und Rimini Protokoll (Martin-Gropius-Bau: „Limits of Knowing“, ab 1. 7. 10 Uhr. Alle Infos: www.berlinerfestspiele.de).

Im Theater an der Parkaue hat am 1. Juli ein Stück Premiere, das den Titel „Internetchor: Die Vertreibung der Hasswurst“ hat und sich mit der Frage befasst, was aus dem schönen Internet in Zeiten der Hasskommentare wurde und wie wir es zurückbekommen und die Hasskommentare loswerden können (Theater an der Parkaue: „Internetchor: Die Vertreibung der Hasswurst“, ab 1. 7., 17 Uhr).