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Noch in Windeln – und schon saunabegeistert

Zwergengesundheit Vom Kneipp-Bund anerkannte Kitas setzen auf gesundheitsförderlichen Lebensstil von Kindesbeinen an

Kinder erleben das Element Wasser neu, beispielsweise durch Wassertreten Foto: Dirk Eisermann/laif

Von Verena Mörath

„Wir lieben das Wasser, es härtet uns ab. Es bringt unsern Kreislauf mächtig auf Trab“, singen die einjährigen Nesthäkchen einer Kita in Berlin-Spandau. Und so sieht ihr morgendliches Ritual unter Anleitung ihrer Erzieherinnen beim Morgenkreis aus: Alle Knirpse ziehen sich aus dem Eimer einen mit kaltem Wasser durchtränkten Waschlappen und üben sich in Gesichtswaschung. Derweil sind die fünfjährigen „Pinguine“ in ihre Bademäntel geschlüpft und gehen in das Saunafass im Hof, um eine Runde zu schwitzen. Abgekühlt wird sich nach zehn Minuten an der frischen Luft – mit einem kalten Guss und Mineralwasser. Danach geht es in den Ruheraum, wo schon Matratzen und warme Decken zum Einkuscheln hergerichtet sind.

Der Allgäuer Pfarrer Sebastian Kneipp würde sich freuen, dass hier ganz in seinem Sinne für Körper, Geist und Seele der jungen Schützlinge gesorgt wird. Tatsächlich hat die Kita in Trägerschaft des Kneipp-Vereins Berlin schon 2006 das Gütesiegel „Vom Kneipp-Bund anerkannte Einrichtung“ erworben und integriert das ganzheitliche Gesundheitskonzept nach Kneipp in ihren Alltag: die fünf Elemente Wasser, Bewegung, Heilpflanzen, Ernährung und Lebensordnung, mit denen Kneipp schon Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland eine einzigartige Gesundheitsbewegung in Gang setzte. Heute „kneippen“ Menschen in der ganzen Welt.

„Die Kinder lernen spielerisch, was sie gesund hält, wie sie auf ihren Körper hören und ihr Wohlbefinden erhalten können“, erläutert Rico Lüttke, Leiter der „Kneipp-Kita“-Spandau, den Grundgedanken des Kneippens von Kindesbeinen an. „Sie erleben das Element Wasser oder natürliche Reize neu, beispielsweise durch Wassertreten, Arm- oder Fußbäder oder wenn sie barfuß über Tau oder durch Schnee stapfen.“ Wichtig seien ausreichend Bewegung an der frischen Luft sowie eine ausgewogene Ernährung. Deshalb lernen in dieser Kita schon Dreijährige, wie Orangensaft gepresst oder ein Smoothie aus selbst geernteten oder auf Wanderungen gesammelten Kräutern zubereitet wird.

Das über allem stehenden Prinzip der Kneipp-Lehre ist jedoch die Lebensordnung: Schon Kneipp ging davon aus, dass das innere Gleichgewicht Voraussetzung ist, um die Gesundheit zu erhalten oder wiederzuerlangen. „Darum legen wir viel Wert auf ein entspanntes Miteinander und gegenseitigen Respekt, auf Eigen- und Fremdwahrnehmung und soziale Verantwortung“, so Lüttke. Uneingeschränkt gilt jedoch: „Kein Kind wird hier zu einer Kneipp-Anwendung gezwungen!“

Die Zertifizierung durch den Dachverband Kneipp-Bund orientiert sich tatsächlich an hohen Standards: In einer Einrichtung muss mindestens die Hälfte des Teams die Ausbildung „Kneipp-Gesundheit für Kinder“ absolviert haben und jährlich vier beziehungsweise alle zwei Jahre acht weiterbildende Lerneinheiten absolvieren. Bei der Erstzertifizierung und bei dem alle vier Jahre stattfindenden Wieder­holungsaudit überprüft ein Qualitätsbeauftragter des Kneipp-Bundes vor Ort, ob die Kneipp-Prinzipien umgesetzt werden.

Die Kinder lernen spielerisch, was sie gesund hält und wie sie auf ihren Körper hören können

Alle zwei Jahre beschreibt zudem ein Selbstauskunftsbogen, auf welche Weise die Kita oder Schule die Kneipp-Prinzipien umsetzt, und weist nach, ob die „Kneipp-Erzieher“ ihre Fortbildungen absolviert haben. Mittlerweile gibt es in Deutschland 407 solcher Kitas. In Schulen wird das Kneippen erst langsam populärer, auch wenn der Zertifizierungsprozess sehr ähnlich verläuft. Hier müssen mindestens zwei Lehrer pro Standort die Ausbildung „Kneipp-Gesundheit für Kinder“ absolvieren. Bundesweit gibt es aktuell nur 28 solcher Schulen.

Schwer nachzuweisen ist es bis heute, ob Kinder in „Kneipp-Kitas“ gesünder sind und bleiben als Kinder, die nicht schon im Windelalter kneippen. „Bedauerlicherweise steht eine wissenschaftliche Studie zum Nachweis der gesundheitsförderlichen Wirksamkeit von Kneipp-Verfahren in Kitas noch aus, obwohl das Konzept für mich insgesamt sehr überzeugend ist“, sagt Benno Brinkhaus, der an der Berliner Charité eine Stiftungsprofessur für Naturheilverfahren bekleidet. „Aber es gibt hinreichend positive Erfahrungswerte, dass Kinder, die Kneipp leben können, weniger krank oder zumindest schneller wieder gesund sind.“ Der Komplementärmediziner unterstreicht überdies den primärpräventiven Aspekt des Kneippens: „Kinder verinnerlichen mittels der Kneipp-Elemente sehr früh eine gesunde Lebensführung.“ Das Setting „Kita“ sei ideal, damit Kinder frühzeitig lernen, wie sie positiv Einfluss auf ihr Wohlbefinden nehmen können.

Dass „Kneipp-Kitas“ sehr weit verbreitet sind, lässt sich bislang nicht behaupten, auch wenn es seit Jahren immer mehr werden: In Berlin-Brandenburg sind beispielsweise nur 51 von insgesamt rund 4.100 Kitas offizielle Kneipp-Einrichtungen. Interes­sierte Eltern müssen schon Glück haben, nahe am Wohnort eine solche für ihren Nachwuchs zu finden. „Viele unserer Eltern nehmen eine längere Anfahrt in Kauf, um ihre Kinder herzu­bringen“, weiß Lüttke und freut sich über die Bindungskraft seiner Kita: „Viele Kinder kommen uns noch als Schulkinder besuchen.“ Bestimmt vergessen sie niemals die sechs Strophen ihres Kitaliedes: „Wir trotzen jedem Wetter, das macht uns nichts aus. Mit richtiger Kleidung gehn wir täglich raus.“ Wenn die Kneipp-Bildung nachhaltig ist, singen sie es noch als Rentner.