Eine Statistik der Verrohung

KRIMINALITÄT Gewaltverbrechen schrecken auf, ihre Zahl stieg zuletzt. Vor Jahren indes waren die Taten ein viel größeres Problem

BERLIN taz | Die beiden Frauen lehnten ein Gespräch mit dem Mann ab. Der 30-Jährige schlug und trat daraufhin einer Frau ins Gesicht, der Partnerin warf er eine Flasche gegen den Kopf und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Erst Passanten konnten helfen, die Polizei nahm den Mann fest.

Es sind immer wieder Gewalttaten wie diese vom letzten Sonntag in Berlin, die für Aufsehen sorgen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach jüngst von einer „zunehmenden Verrohung“. Die Zahl der Gewaltdelikte steige, dies sei besorgniserregend und müsse ein „Weckruf an uns alle“ sein.

Tatsächlich wuchs die Gewaltkriminalität im vergangenen Jahr um 6,7 Prozent auf 193.542 Fälle. Die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen stieg um 9,9 Prozent, der Totschläge um 13 Prozent, der Vergewaltigungen um 12,8 Prozent. Knapp ein Drittel der Gewalttaten wurden unter Alkoholeinfluss verübt, drei Viertel der Delikte aufgeklärt.

Eine Ursache für den Anstieg ist offenbar eine geringere Hemmschwelle unter Jugendlichen. Sie machten ein Plus von 12 Prozent unter den Verdächtigen aus, auf 22.646 der 181.509 Personen. Auch stieg der Anteil der Migranten: um 25,5 Prozent auf 69.163 der Verdächtigen. Ein Drittel von ihnen waren Flüchtlinge. Auch trieben wenige Intensivtäter die Statistik hoch. Und junge Männer – die Mehrzahl der Flüchtlinge – sind ohnehin die größte Risikogruppe bei Gewalttaten.

Über längere Zeit betrachtet, relativiert sich der Anstieg. Nach einem Höchststand 2007 mit 217.923 Gewalttaten ging deren Zahl von Jahr zu Jahr zurück. Auch der jüngste Anstieg liegt immer noch unter diesem Maximum. Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, warnte jüngst vor voreiligen Schlüssen. Die Entwicklung müsse abgewartet werden, zu Unruhe gebe es keinen Anlass.

Erich Marks, Geschäftsführer des Deutschen Präventionstags, forderte dagegen klarere Ansagen der Parteien, wie sie Kriminalität verhindern wollen. In den Wahlprogrammen sei „nirgends auch nur ansatzweise eine langfristige Präventionsstrategie erkennbar“.

Konrad Litschko