Nach Adam Riese & Willy Brandt

Eine Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei scheitert nicht an ihren Programmen. Sie sind nämlich sehr ähnlich
VON ULRIKE HERRMANN

Dementis machen misstrauisch – aber dauernd wiederholt, wirken sie gar wie eine Bestätigung. Gerade weil alle Granden aus SPD, Grünen und Linken ständig beteuern müssen, dass eine Zusammenarbeit prinzipiell ausgeschlossen sei, scheint es mit diesem Prinzip nicht weit her zu sein. Die Parteien ahnen, dass sie sich inhaltlich sehr nahe sind oder zumindest sein könnten. Die Grünen haben dies bereits durch einen neuen Zusatz ausgedrückt: Sie nennen sich jetzt „moderne Linkspartei“.

Nähe entsteht auch durch Abgrenzung. Und zumindest eine wesentliche Eigenschaft teilen SPD, Grüne und Linke: Programmatisch verstehen sie sich als antineoliberal – auch wenn sie in der Praxis gelegentlich neoliberale Politik betreiben mögen. Daher ist das Wählervotum klarer, als es der Streit um die möglichen Koalitionen erscheinen lässt: Die Bürger haben das angelsächsische Modell abgewählt. Angela Merkel wurde als Enkelin von Margaret Thatcher nicht gewollt.

Diese antineoliberale Entscheidung der Bürger ist auch deshalb so eindeutig, weil die Parteien einen Lagerwahlkampf inszenierten. Das einte nicht nur Union und FDP, die am Ende die gleichen radikalen Steuerkonzepte vertraten. Auch Linke, SPD und Grüne fanden sich bei sehr ähnlichen Konzepten wieder. Das SPD-Manifest bringt markant auf den Begriff, was alle drei zu ihrem Credo machten: „Der Kündigungsschutz bleibt. Die Tarifautonomie wird nicht angetastet. Die Mitbestimmung wird nicht eingeschränkt.“

So weit zur Abgrenzung. Doch Rot-Rot-Grün eint nicht nur der rechtsliberale Feind. Genauso wichtig ist der Konkurrenzdruck, der von der neuen Linkspartei ausging. Sie macht die Konfliktlinien wieder deutlich, die direkt durch die SPD und die Grünen laufen. Auch dort gab es schon immer linke Minderheiten. Lange als Spinner belächelt und ansonsten ignoriert, werden sie nun zu Aushängeschildern, die eine Wählerwanderung zur Linkspartei verhindern sollen. Das hat Spuren in den grünen und sozialdemokratischen Wahlprogrammen hinterlassen.

So fordern inzwischen auch SPD und Grüne explizit Mindestlöhne. Allerdings ist die Höhe nicht festgelegt und soll nach Branchen variieren. Zugegeben, das wirkt zunächst sehr viel lascher als bei der Linkspartei, die einen Mindestlohn von 1.200 Euro anstrebt. Doch wenn die Grünen ihr Programm ernst nehmen, das „working poor“ verhindern möchte – dann müssten auch sie 1.200 Euro brutto fordern. Denn nach der EU-Armutsdefinition wären mindestens 1.500 Euro monatlich angemessen.

Bei den Arbeitsmarktreformen ist die Nähe inzwischen ebenfalls groß. Die Linkspartei titelt zwar rabiat „Weg mit Hartz IV“ – aber faktisch fordert sie vor allem, dass das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro steigt. Genau dort sind die Grünen ebenfalls angekommen, nur verklausuliert. Sie wollen die Regelsätze „deutlich anheben“ und dabei die Wohlfahrtsverbände einbeziehen. Deren Forderung ist längst bekannt: 412 Euro.

Auch der 1-Euro-Job ist nirgends mehr beliebt. Die Grünen schlagen „Integrationsfirmen“ vor, die Langzeitarbeitslosen Tariflohn zahlen. Die Linkspartei fordert dies ebenso, hat nur noch keinen griffigen Begriff gefunden.

Bei den Steuern gab’s ebenfalls Bewegung. Kaum hatte sich die Linkspartei gebildet, da konterte die SPD schon mit einer „Reichensteuer“. Ab einem Jahreseinkommen von 250.000 Euro sollen 45 Prozent fällig werden. Das ist zwar mehr ein Symbol als ein Kassenschlager, würden doch nur rund 1,7 Milliarden Euro fließen. Aber immerhin. So richtig überzeugend ist es jedenfalls nicht, wenn die SPD das linke Steuerkonzept als „nicht realisierbar“ bezeichnet. Denn eigentlich agiert die Linkspartei außerordentlich bescheiden: Ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro soll ein Spitzensteuersatz von 50 Prozent gelten. Da war das Leben unter Kanzler Kohl härter. Die Linkspartei ist derart moderat, dass sie noch nicht einmal die ganze rot-grüne Steuerreform zurücknehmen will.

Die rot-rot-grünen Programme sind so ähnlich, dass die Linkspartei nun in Bedrängnis gerät, wenn sie ihren Oppositionswunsch begründen will. Nur ein Argument fällt ihr ein, das sie daher so oft wie möglich wiederholt: Es dürfe „keine Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen“ geben. Dieser Widerstand könnte schnell brüchig werden. Die Grünen haben längst vorgemacht, dass sich der Begriff Pazifismus vielfältig interpretieren lässt.

SPD + Grüne + Linke = 51,5 Prozent.Es gibt eine rechnerische linke Mehrheit.Doch die Linken sind sich spinnefeind
VON ROBIN ALEXANDER

Auch auf der Linken schlägt jetzt die Stunde der kreativen Rechner. Oskar Lafontaine rechnet am schnellsten „Willy Brandt hat von der Mehrheit links von der Mitte gesprochen: Diese Mehrheit ist jetzt da“, rief er noch in der Wahlnacht.

Lafontaines Rechnung geht so: Die Ergebnisse der drei Parteien, die aus linken Traditionen kommen, werden addiert: 34, 3 (SPD) + 8,1 (Grüne) + 8,7 (Linke) = 51,5 Prozent. Also Mehrheit. Richtig interessant wird diese Rechnung, wenn man sie mit den Ergebnissen von 2002 vergleicht: 38,5 (SPD) + 8,6 (Grüne) + 4,0 (PDS) = 51,5 Prozent. Der gleiche Wert. Auf diese Weise wird aus der Wahl, die doch angeblich alles auf den Kopf gestellt hat, nur eine Verschiebung innerhalb einer stabilen linken Mehrheit. Warum soll also nicht auch links regiert werden?

„Daran muss man arbeiten“, erklärt der grüne Direktmandatgewinner Christian Ströbele seit dem Wahltag täglich. Der linke Verleger Klaus Wagenbach wurde noch deutlicher: Er gebe „eine deutliche, ordentliche linke Mehrheit“, die Frage sei nur „ob man davon Gebrauch macht und ein paar Stolpersteine aus dem Weg räumt“. Die Stolpersteine benannte er praktischerweise gleich mit: „dann müssen zwei Leute abtreten: Lafontaine und Schröder“.

Ganz so einfach ist es nicht: Denn der Konflikt Schröder-Lafontaine bildet das sozialdemokratische Schisma ja nur ab, das es auf allen Ebenen gibt. In Baden-Württemberg muss sich die junge SPD-Frontfrau Ute Voigt, Jahrgang 64, mit ihrem eigenen Vorgänger Uli Maurer, Jahrgang 48, auseinander setzen. Der war schon abgehalftert und ging statt in Pension zur Linkspartei. Nach Jahrzehnten in sozialdemokratischen Mandaten und Posten beschreibt Maurer jetzt im ehemaligen SED-Zentralorgan Neues Deutschland die Gesellschaft als „Mediokratie und Plutokratie“.

Neben frischen Wunden gibt es aber auch ältere und tiefere Gräben: WASGler wie der Wirtschaftswissenschaftler Axel Troost, der jetzt in den Bundestag einzieht, haben sich schon unter Helmut Schmidt von der SPD abgewandt und brauchen weder Kraftausdrücke noch Ideologismen, um ihre Distanz unter Beweis zu stellen.

Je näher aber sich Linke und Sozis vor kurzem noch standen, desto schlimmer schimpfen sie heute übereinander. Klaus Ernst, der die WASG ohne Rücksicht auf Bedenkenträger in die Arme der PDS trieb, fiel in der IG Metall lange nicht als exponierter Linker auf. Heute stellt er Sozialdemokraten als Arbeiterverräter dar und verspottet die Grünen als „Radieschen-FDP“. Das wäre die aktuelle, schlechte Ausgangsbasis für Koalitionsgespräche: Wenn sich SPD und Linkspartei treffen, reden Sozialdemokraten mit Sozialdemokraten und beide empfinden ihr Gegenüber als Verräter.

Wohlgemerkt: Das gilt nur für den Westen. Im Osten hat sich das Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei schon lange normalisiert. In Berlin etwa arbeitet der rot-rote Senat reibungslos zusammen. Beiden Parteien gelingt es, Haushaltskonsolidierung, Einkommenskürzungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst sowie Rückbau ineffektiver öffentlicher Förderung ihrer Klientel als Notwendigkeiten zu verkaufen. Mit dem Argument: Rot-Rot betreibt das sozialer als die bürgerliche Konkurrenz.

Es ist eine Wunschvorstellung der SPD-Renegaten, dass die PDS gegen jede neoliberale Versuchung gefeit sei. Der Protest gegen Hartz IV organisierte sich vergangenes Jahr zuerst allein. Die PDS – damals noch ohne Gysi, Lafontaine und Hoffnung – griff nur nach ihm wie ein Ertrinkender zum erstbesten Treibgut. Man hat Lafontaine, die ehemaligen Sozialdemokraten und wütenden IG-Metaller gebraucht, um im Westen Fuß zu fassen. Für ein Bündnis mit der SPD sind sie jedoch eher eine Belastung. Die Berliner WASG schickte ihren zukünftigen Parteifreunden am Montag ein seltsames Glückwunschfax: „Weg mit Hartz IV zu fordern und in Berlin Hartz IV umzusetzen, muss ein Ende haben. Die unsoziale Politik der Berliner Koalition mit der SPD, die sich an der Umverteilung von unten nach oben beteiligt, muss beendet werden.“

Das ist ja das Problematische an der neuen Linkspartei: Die Kernidentität der alten PDS war, eine spezifisch ostdeutsche Interessenvertretung zu sein. Die Identität der neuen Linkspartei im Westen ist, sozialdemokratischer als die Sozialdemokraten zu sein. Diese Identität aber beschädigt jeden Kompromiss mit der SPD.

Es bräuchte also viel, damit Rot und Rot noch einmal zusammenkommen. Rot-Rot-Grün hätte man dann aber noch lange nicht. Die Grünen hätten bei der rot-roten Hochzeit die Wahl zwischen zwei Rollen. Sie können die Kupplerin geben, die vermittelnd tätig wird, bis sie nicht mehr gebraucht wird. Oder sie Wählen die Rolle einer Nervensäge: Irgendjemand muss die Genossen ja daran erinnern, dass linke Politik mehr ist als Umverteilung von Staats wegen. Es gibt ja auch noch Minderheiten, Umweltschutz, neue Lebensformen und – psssst – die Notwendigkeit zu Reformen.