Echte Scheißgesetze

FLÜCHTLINGE Patras Bwansi kam 2010 nach Berlin. In seiner Heimat Uganda wird er wegen seiner Einstellung verfolgt. Auch in Deutschland darf er nicht so leben, wie er will

VON PADDY BAUER
UND NGUYEN VAN DAM

Schokolade einkaufen, nach München reisen oder in einer eigenen Wohnung leben: das darf Patras Bwansi nicht. Der Mann, der eine Trillerpfeife um den Hals trägt, flüchtete 2010 aus Uganda nach Deutschland. Seitdem wird das Leben des 33-Jährigen von Behörden bestimmt.

Von Berlin über München geht seine Zuweisung und endet in einem Flüchtlingslager in Breitenberg bei Passau. Rund 30 Menschen müssen sich ein Bad, eine Toilette und eine Küche teilen. In jedem Zimmer leben sechs bis acht Personen. Brot, Reis, Obst und Milch kaufte Bwansi nicht im Supermarkt – er erhielt Essenspakete. T-Shirts, Pullover und Jeans bezog er über Kleidermarken. Damit konnte er nur in wenigen Geschäfte einkaufen. Als er Grippe hatte, musste er sich den Arztbesuch vom Amt genehmigen lassen. Deutsch- und Integrationskurse konnte er nie besuchen, aber „im Lager sprachen die Verantwortlichen nur Deutsch“, sagt Bwansi.

Für ihn sind das „Scheiß-Laws“, echte Scheißgesetze, die ihn reglementieren und drangsalieren. Er möchte Deutsch lernen, an Seminaren teilnehmen, sein Studium von Kunst und Design fortsetzen. Bwansi würde auch gern sein Freunde außerhalb Passaus besuchen. Doch auch das durfte er nicht.

Denn in Deutschland gilt die Residenzpflicht. Flüchtlingen ist es in den meisten Bundesländern verwehrt, ohne Reisegenehmigung ihren Landkreis zu verlassen. In Bayern wird zudem der Wohnort durch die sogenannte Lagerpflicht vorgeschrieben. Diese Restriktionen sollen „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“, heißt es in der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung.

Deutschland sagt Nein zu Flüchtlingen. Patras Bwansi wollte das nicht mehr hinnehmen. Und deswegen sagte er Nein.

Mit anderen Flüchtlingen richtete er im August eine Mahnwache im Klostergarten in Passau ein und klärte über seine Situation auf. „Wir haben viel positives Feedback von der Bevölkerung erhalten“, sagt Bwansi. Flüchtlinge in anderen deutschen Städten organisierten Anfang September einen gemeinsamen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, um gegen Abschiebung, Lagerpflicht und Residenzpflicht in Deutschland zu demonstrieren.

Nachdem der Flüchtlingsmarsch Berlin erreicht hatte, bauten auch sie ihren Infostand in Passau ab und schlossen sich den Flüchtlingen Anfang Oktober in Kreuzberg an. Am Oranienplatz sind die Flüchtlinge gut organisiert: Die Zelte sind beheizt, die Wäsche wird bei Nachbarn gewaschen, die Küchendienste bekochen alle, und es gibt Sprachkurse. Samstags kommt der Friseur. Bwansi bevorzugt das Leben im Camp vor dem Leben im Lager, weil er hier den „Stress, die Angst und die Konflikte“ hinter sich lassen kann. Hier im Camp engagiert er sich für seine und die Rechte der Flüchtlinge in Deutschland und lässt sich sein Leben nicht mehr vorschreiben. Er diskutiert in Meetings und erzählt vor allem seine Geschichte. Die Trillerpfeife verschafft ihm dabei Gehör. Sie hat aber auch einen anderen Zweck: „Ich rufe nach Solidarität für meine Freunde und mich, falls ein Übergriff passiert.“

Bwansi hat mit dem Marsch nach Berlin seinen Duldungsstatus verloren und gilt nun als Illegaler. Ohne Ausweis und Papiere wurde er bereits zweimal inhaftiert. Trotz allem sagt er Nein zu den restriktiven Maßnahmen. Er sagt Nein zu der kurzen Duldungsdauer. Er sagt Nein dazu, sein Leben nach Gutscheinen und Essenspaketen planen zu sollen. Er sagt Nein zu den Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Deutschland.