: Crowdfunding für Olympia
REgatta Die beiden Neu-Kielerinnen Frederike Loewe und Anna Markfort erreichen bei der Kieler Woche in der Klasse 470 Rang eins. Ihr Traumziel sind die Spiele in Tokio. Den Weg dorthin zu finanzieren, wird schwierig
Von Christian Görtzen
Kieler Woche – das ist für geschätzt 99,99 Prozent der Besucher Folgendes: Bier, Cocktails, Bratwurst, Fischbrötchen. Mancher mag sicher auch die Konzerte. Die Segelregatta indes, interessiert im Zentrum, wo sich die Buden aneinanderreihen, kaum jemanden. Wer dies anders sieht, muss in den Norden der Stadt fahren, nach Schilksee.
Auch hier findet sich eine Ess- und Trink-Meile parallel zu einem Hochhaus-Komplex im Waschbeton-Stil, der für die Olympischen Spiele 1972 gebaut wurde. Und es gibt ein Segel-Public-Viewing – und zwar der Komfort-Klasse! Grauhaarige Menschen fläzen sich in Strandstühlen und verfolgen – ohne emotionale Regung – auf einer großen Leinwand eine Wettfahrt.
Von einem solchen Maß an Entspannung sind Steuerfrau Frederike Loewe und Vorschoterin Anna Markfort weit entfernt. Draußen auf der Förde halsen und schiften die Kielerinnen in ihrem Boot der olympischen Klasse 470 so geschickt, dass sie im Gesamtklassement schließlich Platz eins und damit den einzigen deutschen Titel erringen.
Ihr erfolgreiches Abschneiden beim Heimspiel sehen die beiden 23-Jährigen als weiteren Schritt in ihrem Vier-Jahres-Plan an. Begonnen hat dieser am Schlusstag der Spiele 2016 in Rio de Janeiro, enden soll er mit der Qualifikation für Olympia 2020 in Tokio.
Sportlich sieht es vielversprechend aus – finanziell knirscht es. Die gebürtigen Berlinerinnen, die wegen der besseren Segelbedingungen nach Kiel umgezogen sind, sorgen sich um die Finanzierung ihrer Kampagne. Es fehlen Sponsoren. Segeln ist eine Randsportart. „Wenn wir am Telefon sagen: ‚Hey, wir segeln, das macht voll Spaß, und wir brauchen Geld, denn wir wollen zu den Olympischen Spielen‘ – da schrecken die meisten zurück, sagt Markfort. „Die fragen: ,Was haben wir davon?‘“ Dabei habe ihr Sport viel zu bieten. Segeln sei ein sauberer Sport: „Wolkenkunde, Wetterkunde, Bootsgefühl – das kann man nicht herbeidopen.“
Das Problem dieser Sportart liegt darin, dass die Wettbewerbe schwer zu verfolgen sind. Die Boote sind so weit draußen auf dem Wasser, dass vom Ufer aus mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, wer gerade führt. Selbst mit einem Fernglas lässt sich wegen des seitlichen Blicks auf das Feld nicht gut erkennen, wie sich der Kurs genau gestaltet. Und im Fernsehen fehlt auch vielen Zuschauern der Überblick.
Für Frederike Loewe und Anna Markfort wird der Traum von Tokio wohl ein Zuschussgeschäft werden. Ein Boot kostet etwa 20.000 Euro. „Für eine Olympia-Kampagne braucht man eigentlich drei“, sagt Markfort: Eines in Europa, eines in Kiel und eines, das weltweit herumgeschifft wird, nach Japan oder in die USA. Hinzu kämen noch die Kosten für die Reisen, für Masten und Segel. „Das ist für unsere Vereine nicht zu stemmen“, sagt Markfort. Der Deutsche Segler-Verband könne nur einen kleinen Beitrag zu den Reisekosten beisteuern.
Seglern Anna Markfort
Verdienen lasse sich in ihrer Bootsklasse nichts. „Bei jeder Regatta müssen wir ein Meldegeld zahlen, 300 bis 500 Euro. Preisgelder gibt es eigentlich nicht, nur beim Weltcup-Finale ist das anders“, sagt Loewe.
So schön Tokio als Traumziel sein mag – die Lage der Millionenmetropole erschwert das Projekt Olympia. Denn schon vor den Spielen 2020 geht es zu Trainingszwecken und Regatten öfters Richtung Japan. „In Europa ist das alles noch einigermaßen machbar“, sagt Loewe. „Da nimmt man sich einen Bus, einen Hänger und fährt los.“ Das sei anstrengend, aber bezahlbar. Das Material in Containern nach Japan zu schicken, steigere jedoch die Kosten ins Unendliche.
Unterstützt werden sie vor allem durch die Eltern, Verwandte, ihre Vereine und ihren Verband. Es ist eine Art Crowdfunding in ihrem Mikrokosmos. Zeit für einen Job neben dem Studium bleibt wegen des hohen Trainingspensums nicht.
Dennoch: Die Faszination für das Segeln ist ungebrochen. „Ich habe immer vor Augen, wie es war, als wir bei der Junioren-EM Silber gewonnen haben“, sagt Markfort. „Man fährt über die Ziellinie, schaut sich an und ist super-happy. Oder bei der Siegerehrung, wenn man aufs Treppchen steigt und alle klatschen. Wenn ich mir das für Tokio vorstelle, bekomme ich eine Gänsehaut.
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