„Zwangsbeschneidung lässt sich schwer beweisen“

Nele Allenberg von amnesty international erklärt, warum trotz des Asylgrunds „geschlechtsspezifische Verfolgung“ noch kaum Frauen Erfolg hatten

taz: Das Zuwanderungsgesetz hat drohende Genitalverstümmelung im Heimatland zum Abschiebehindernis erklärt. Können jetzt viele Betroffene ein Bleiberecht erhalten?

Nele Allenberg: Es ist noch ein bisschen früh, um das zu beurteilen, das Zuwanderungsgesetz ist ja erst seit neun Monaten in Kraft. Außerdem erfasst das Bundesamt nur die Fälle statistisch, die zugunsten der Asylbewerber ausgehen. Innenminister Schily hat in seiner Bilanz des Zuwanderungsgesetzes im August von 31 Fällen gesprochen, in denen das Bundesamt wegen drohender Genitalverstümmelung Abschiebungsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erteilt hat. In 12 weiteren Fällen konnten die Betroffenen hier bleiben, weil das Bundesamt durch die geschlechtsspezifische Verfolgung eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben annahm. Seitens der Gerichte ist mir ein Fall aus Köln, zwei aus Kassel und einer vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof bekannt, die positiv ausgegangen sind.

Das ist aber nicht viel.

Das liegt daran, dass die erwachsenen Asylbewerberinnen aus diesen Ländern meist schon beschnitten sind. In den genannten Fällen klagen minderjährige Mädchen gegen die Abschiebung. Außerdem schämen sich viele Betroffene, vor Gericht über das Thema Zwangsbeschneidung zu reden. Diese suchen oft einen anderen Weg, Asyl zu erhalten.

Trotzdem sehen Sie die Novellierung als etwas Positives?

Das Zuwanderungsgesetz hat uns wenig Verbesserungen gebracht. Deshalb bin ich froh, dass der Gesetzgeber wenigstens geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund klar definiert. Erfreulich ist auch, dass die nichtstaatliche Verfolgung aufgenommen wurde. Denn die Bedrohung einer Zwangsbeschneidung oder auch Zwangsheirat geht in der Regel nicht vom Staat sondern von der Familie oder der Volksgruppe aus.

Vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wurde das Gesuch einer Nigrerin abgelehnt, weil man ihr die drohende Genitalverstümmelung durch ihre Familie nicht abnahm.

Die Beweislage für Asylbewerber vor bundesdeutschen Gerichten ist generell schwierig.Wie Sie den Fall schildern, ist die Frau ja bereits verheiratet und hat mit dem Mann Kinder. Ob sie, wenn sie ohne ihren Mann abgeschoben wird, von ihrem Vater zur erneuten Heirat und vom zukünftigen Ehemann zur Beschneidung gezwungen wird, ist schwer zu beurteilen. Das Gericht hat ihr wahrscheinlich einfach nicht geglaubt.

Sind die Gerichte nicht genügend informiert, um ein gerechtes Urteil zu fällen?

Das Bundesamt stellt ihnen sehr umfangreiche Länderinformationen zur Verfügung. Oft bügeln die Entscheider aber das Asylgesuch der Betroffenen mit einzelnen Textbausteinen ab, die ihre Ablehnung begründen. Wir werfen dem Bundesamt auch vor, dass es die Asylbewerber beim Interview nicht auf die Widersprüche in ihren Aussagen aufmerksam machen. Diese Widersprüche werden dann im Bescheid als Grund für eine Ablehnung herangezogen. Eine wohlwollende Prüfung, die den Asylsuchenden in die Lage versetzt, alles für seine Verfolgungsgeschichte Relevante zu berichten, findet oft nicht statt.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN