Sechzehn Centmehr

Senat R2G beschließt für Aufträge und Beschäftigte des Landes Erhöhung des Mindestlohns. Vollzeitjobber müssten nun nicht mehr zum Amt

Verdienen künftig mindestens 9 Euro die Stunde: Beschäftigte in Schulkantinen Foto: Christian Thiel

von Stefan Alberti

Wer mit dem Senat und den Bezirken Geschäfte machen will, muss seinen Beschäftigten demnächst mindestens neun Euro pro Stunde zahlen: Auf diesen Betrag hat die rot-rot-grüne Landesregierung am Dienstag den Landesmindestlohn erhöht. 2012 eingeführt, lag der bislang unverändert bei 8,50 Euro. Betroffen sind davon nicht nur große Bauaufträge des Landes, sondern genauso Ausschreibungen für Schulkantinen, Gebäudereinigung oder Wachdienst vor Behörden. Was aber nach einem Anstieg von einem halben Euro aussieht, ist tatsächlich nur einer um 16 Cent: Denn der 2015 eingeführte bundesweite Mindestlohn liegt bereits bei 8,84 Euro. CDU- und FDP-Fraktion sowie die Industrie- und Handelskammer (IHK) äußerten sich kritisch.

Die zuständigen Senatorinnen Ramona Pop (Grüne, Wirtschaft) und Elke Breitenbach (Linkspartei, Arbeit) sehen durch den jetzigen Senatsbeschluss, der voraussichtlich ab dem 1. August gelten wird, ein wesentliches Ziel der Koalition in der Vergabepolitik erreicht. Dort sind neben einer Mindestbezahlung auch andere Kriterien festgelegt, etwa in Sachen Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit.

Genau genommen hat der Senat zwei Vorschriften geändert: zum einen die erwähnte Vorgabe für Aufträge des Landes, wo offiziell nicht vom Mindestlohn, sondern vom Mindest­entgelt die Rede ist. Zum anderen die Vorschrift dafür, was das Land und seine Unternehmen als Arbeitgeber selbst zu zahlen haben. Weil dort aber bereits Tarife mit bei neun Euro liegenden Stundenlöhnen gelten, betrifft die Veränderung allein den Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung und damit rund 2.600 Beschäftigte, etwa Stadtteilmütter, Kiez-Lotsen oder Fahrgastbetreuer.

Berlin hatte – zu Beginn der rot-schwarzen Koalition 2012 – wie mehrere andere Bundesländer ein Landesmindestlohngesetz beschlossen, nachdem es auf Bundesebene dazu keine Bewegung gab. Die Länder konnten damit Privatunternehmen zwar keine direkten Vorgaben für die Lohnhöhe machen, aber die Vergabe öffentlicher Aufträge als Druckmittel benutzen.

Rund 2.600 öffentlich geförderte Beschäftigte profitieren von der Erhöhung

Die Anhebung des Landesmindestlohns auf 9 Euro ist laut Pop und Breitenbach zwar durchaus politisch motiviert, beruht aber nach ihren Angaben zugleich auf mathematischen Berechnungen: Er entspricht dem, was nach Einschätzung der Arbeitsagentur zum Leben ohne staatliche Hilfen – das sogenannte „Aufstocken“ – nötig ist. Der bundesweite Mindestlohn von 8,84 reicht dazu laut Breitenbach eben nicht aus. Aus ihrer Sicht sind 16 Cent mehr pro Stunde, also rund 25 Euro monatlich bei einem Vollzeitjob, nicht zu vernachlässigen. „Es gibt eine Grenze, ab der Menschen zum Jobcenter gehen und um Hilfe bitten müssen“, sagte sie. Genau das aber soll für Menschen mit einem Vollzeitjob nicht nötig sein.

Wirtschaftsnahe Kreise vermochte das nicht zu überzeugen. Christian Gräff (CDU) hält das Vergabegesetz grundsätzlich für „viel zu kompliziert“ und macht die Vorgaben dafür verantwortlich, dass sich Firmen seltener an öffentlichen Ausschreibungen beteiligten. Er zweifelte gegenüber der taz auch die Berechnung an, die den 9 Euro zugrunde liegt: Wenn man wirklich ohne Aufstocken auskommen wolle, müsse man um mehr erhöhen.

Die FDP-Fraktion erinnerte die grüne Senatorin Pop daran, dass ihre Parteifreunde in Schleswig-Holstein gerade zustimmten, dort den Landesmindeslohn wieder abzuschaffen – und forderten dasselbe: Er sei wegen der Bundes-Regelung überflüssig. IHK-Geschäftsführerin Marion Hass sieht „einen teuren Sonderweg“, der zu neuer Bürokratie führe und Wettbewerbsfähigkeit mindere.