„Wir sind hier nicht in der Kirche, sondern im Strafgericht“

Das bleibt von der Woche Eine menschenverachtende Tat, deren Opfer aber unverletzt blieb – und angemessene Urteile im Gerichtsverfahren, mehr soziale Kompetenz durch Verzicht auf Schulnoten, die Forderung nach Verzicht auf Racial Profiling. Und dann gehen wir demnächst alle gemeinsam in der Spree baden

Lieber borniert als urban

Flussbad Berlin

Damit rückte das Projekt verschämt an den Rand

Fast jeder kennt das Bild: Ein Blick über den Kupfergraben an der Museumsinsel, links das Alte Museum, hinten überragen der Fernsehturm, der Berliner Dom und die Kuppel des Humboldt Forums die Baumkronen. Und dann der am Computer ­erzeugte Verfremdungseffekt: Breite Stufen führen ins überraschend transparente Wasser, Menschen in Badesachen stehen darin, lassen sich treiben, einer durchpflügt kraulend den Spreekanal. Ein schönes Bild.

Leider eins, dass wohl nie Realität wird. Der Verein Flussbad Berlin, der seit Jahren an der Vision einer schwimmbaren Spree arbeitet und vergangene Woche eine Open-Air-Ausstellung mit Event-Ort eröffnet hat, scheitert offenbar an der Prinzipienfestigkeit der Denkmalschützer. Oder sollte man sagen: an deren Borniertheit?

Die Signale vom Unesco-Weltkulturerbekomitee in Paris, vom Landesdenkmalamt und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind klar: Planschen am Rand des ehrwürdigen Gebäudeensembles ist voll daneben. Dabei fügt sich die so eindrucksvoll visualisierte Planung nahtlos in die steinerne Ästhetik des Ortes ein, auch am angedachten Zugangsbereich auf der Schlossfreiheit. Bunte Wasserrutschen waren nie geplant.

Aller Voraussicht nach wird es aber – wenn das Flussbad tatsächlich einmal realisiert werden sollte – Einstiege an weniger spektakulären Orten geben: am Garten des früheren Staatsratsgebäudes und gegenüber vom Bode-Museum. Auch damit bliebe das Projekt einzigartig, aber es rückte etwas verschämt an den Rand.

Dabei ist das Großartige an der Idee der Kunstgriff, mehr urbane Authentizität – Menschen, die einfach Spaß haben, und das auch noch gratis – an einen Ort zu bringen, wo vor lauter Musealität immer weniger Leben stattfindet, wo, wenn überhaupt, nur ein paar ausgesprochen Betuchte wohnen. Das war hier vor hundert Jahren, als das letzte Flussbad schloss, anders. So könnte man Denkmalschutz ja auch einmal interpretieren. Claudius Prößer

Ineffektiv, rassistisch und falsch

RACIAL PROFILING

Leute, die sich ­verdächtig verhalten, können überall kontrolliert werden

Menschen, die nicht exakt so aussehen, wie Lieschen Müller sich einen „Deutschen“ vorstellt, haben es wohl alle schon erlebt: Gibt es Polizeikontrollen, werden sie garantiert ins Visier genommen. Ganz besonders gilt dies für die sogenannten kriminalitätsbelasteten oder auch „gefährlichen“ Orte, wo Polizisten ohne Anlass kontrollieren dürfen. Es gibt reihenweise Berichte von schwarzen Männern, die mit weißen Freunden im Görlitzer Park beim Grillen saßen und als Einzige von den Beamten zur Identitätsfeststellung mitgenommen wurden.

Darauf zielt die Kampagne „Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen“, die antirassistische Organisationen am Donnerstag vorstellten. Doch ihre Forderung, die Sonderbefugnisse der Polizei abzuschaffen, wird auch Rot-Rot-Grün nicht erfüllen. Denn SPD und Polizei hängen an der Idee, damit der Kriminalität an bestimmten Plätzen in der Stadt Herr zu werden.

Dabei ist das bislang nicht feststellbar. Die Drogendealer im Görli etwa lassen sich durch gehäufte Kontrollen zwar kurz vertreiben – aber nur, um später wiederzukommen. Zudem argumentiert die Polizei widersprüchlich. Einerseits heißt es, es gebe kein Racial Profiling, es sei „Erfahrungswissen“, wenn man im Görli schwarze Männer und nicht weiße Frauen kontrolliere. Andererseits wären dann verdachtsunabhängige Kontrollen und die Definition „gefährlicher“ Orte obsolet.

Das Raster ist offenkundig so grob wie nutzlos. Gute Polizisten sollten in der Lage sein, Dealer an ihrem Verhalten zu erkennen, und sie nicht mit ­chillenden Parkbesuchern verwechseln. Susanne Memarnia

Zensuren sind unsozial

Neue Notendebatte

Ohne Noten wird weniger aussortiert, weder von Lehrern noch unter Schülern

Da ist sie also wieder, die gute alte Notendebatte. Am Donnerstag gründete sich ein Schulnetzwerk, das für Berlin eine Alternative zur herkömmlichen Ziffernbenotung will. Notenfans dürfen also wieder mit den Augen rollen. Kinder wollen sich vergleichen, werden sie sagen. Noten sind objektiver. Und: Sie wirken motivierend.

Es sollte diese Streiter fürs herkömmliche Notensystem nachdenklich stimmen, dass das Schulnetzwerk nicht von windelweichen Eltern gegründet wurde, die ihre Kinder in dicke Watte packen, sondern von Lehrern. Diese Lehrer sagen: Noten sind mitnichten objektiv. Sie werden von Menschen aus Fleisch und Blut gemacht, deren Vorurteile sich nicht verändern, wenn sie in Zahlen ausgedrückt werden. Noten sind nicht differenziert genug. Und Kinder wollen sich auch deshalb gern vergleichen, weil der Leistungsgedanke tiefer in uns steckt, als es uns lieb ist.

Was in der Debatte oft fehlt, ist ein schwerwiegendes Argument: Wer Leistung denkt, der muss auch Konkurrenz denken. Das jedenfalls sagen viele Lehrer, die schon jetzt an Schulen arbeiten, wo – solange es das Schulgesetz erlaubt – keine Noten vergeben werden. Verbale Beurteilungen, wie sie dort stattdessen oft üblich sind, kommen gern ziemlich komplex daher. Die Kinder können sie sich am Nachmittag nach der Zeugnisvergabe oft nicht so umstandslos unter die Nase reiben wie Noten.

Daher, so sagen es Lehrer wie Eltern im Umfeld dieser Schulen, geht es ohne Noten oft sehr viel sozialer zu als mit. Manchmal arbeiten in diesen notenfreien Klassen mit größter Selbstverständlichkeit Überflieger mit Durchschnittsschülern und Kindern mit Lernschwierigkeiten zusammen.

Die Kinder werden weniger stigmatisiert, weniger aussortiert – weder von Lehrern noch unter Mitschülern. So erlernen sie – um noch einmal in den Denkmustern der Notenfans zu argumentieren – eine Sozialkompetenz, die ihnen nach der Schule ganz sicher stärker zugutekommen wird als die Lust, immer schneller, höher und weiter zu sein als alle anderen.

Susanne Messmer

Gericht korrigiert Schieflage

Urteil für Feuerattacke

Selbst seriösere Me­dien hielten bis zum Urteil am Terminus „angezündet“ fest

Zwei Jahre und neun Monate Haft lautet das Urteil für den Hauptangeklagten. Am 25. Dezember hatte der 21-jährige Nour N. – begleitet von fünf weiteren jungen Männern – im U-Bahnhof Schönleinstraße ein brennendes Taschentuch neben einen schlafenden Obdachlosen gelegt. Möglicherweise blieb der Mann nur deshalb unverletzt, weil ihn Fahrgäste kurz danach weckten und das Feuer löschten.

Nach wochenlanger Verhandlung erging am Dienstag das Urteil. Die fünf Mitangeklagten wurden zu Bewährungsstrafen beziehungsweise Arrest verurteilt. Viel zu milde, finden die Boulevardzeitungen. Doch dem ist mitnichten so. Die 13. Jugendstrafkammer ließ keinen Zweifel daran, dass die Tat menschenverachtend ist. Dass Obdachlose zu den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft gehören, gebe niemandem das Recht, sich an ihnen abzureagieren, betonte die Vorsitzende Richterin.

Der Staatsanwalt hatte den Angeklagten einen Tötungsvorsatz unterstellt und auf versuchten Mord plädiert. Das Gericht indes ging von versuchter gefährlicher Körperverletzung aus. Korrigiert wurde damit eine Schieflage, in der sich das Verfahren von Anfang an befand. Die ermittelnde 4. Mordkommission war nach der Tat mit der Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen, der Obdachlose sei „angezündet worden“. Die Presse griff das begierig auf – und das an Weihnachten und dann noch von jungen Flüchtlingen aus Syrien ...

In Wirklichkeit war dem Schlafenden kein Härchen versengt worden. Spätestens zu Prozessbeginn konnte man das wissen. Aber selbst seriösere Medien hielten bis zum Urteil am Terminus „angezündet“ fest. Gleichzeitig wurden utopische Straferwartungen formuliert. Zündeln könnte man solche Berichterstattung auch nennen.

Wie das ankommt, zeigt eine E-Mail, die einen der Verteidiger kurz vor dem Urteil erreichte: „Ihr Mandant gehört an Syrien ausgeliefert, egal ob ihm dort die Todesstrafe droht“, schrieb darin ein Bürger: „Für solch ein Arschloch muss ich auch noch Steuern zahlen.“

Dem Gericht ist kein Vorwurf zu machen. Auch die Verteidiger lobten in ihren Plädoyers die unvoreingenommene Verfahrensführung – was man über die Mordkommission nicht sagen kann. Selten habe er so viel Belastungseifer erlebt, brachte es ein Verteidiger auf den Punkt. Keiner finde gut, was im U-Bahnhof gelaufen sei, „aber wir sind hier nicht in der Kirche, sondern im Strafgericht“. Besser kann man es nicht sagen.

Plutonia Plarre