LeserInnenbriefe
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Die Mauer der Ausweglosigkeit

betr.: „327 Tote durch DDR-Grenze“, taz vom 8. 6. 17

327 Mauertote – inklusive 44 Suizide? Okay, 283 ist jetzt keine so viel kleinere Zahl, also irgendwie egal – aber hättet ihr auch geschrieben: 327 Mauertote! Nachsatz: davon 321 Suizide? Nein? Eben. Oder: Habt ihr alle anderen Suizide im relevanten Zeitraum überhaupt auf Mauer-Zusammenhang überprüft? Vielleicht haben sich ja weitere 6.231 Menschen wegen Ausweglosigkeit umgebracht? Wie auch immer, ziemlich seltsame Zahlen, mit denen da hantiert wird. SILKE KARCHER, Berlin

Scheinrente für die Kleinen

betr.: „Schulz will vor Altersarmut schützen“, taz vom 8. 6. 17

Die Finanzierung des von Martin Schulz vorgestellten Rentenkonzepts steht auf wackligen Beinen. Es ist fraglich, ob die Einbeziehung von Klein- oder Soloselbstständigen neben den angekündigten steuerfinanzierten Demografiezuschüssen auf lange Sicht eine ausreichende Stabilisierung der Rente bewirken kann. Ausgerechnet die Erwerbstätigengruppe mit dem vergleichsweise geringsten Einkommen und der schwächsten Lobby soll nun für die Rentenpläne der Sozialdemokraten herhalten. Wie sollen sich formal selbstständige Crowd-Worker, freischaffende Künstler oder Inhaber kleiner Geschäfte die zusätzliche Belastung leisten, wenn der Rentenbeitrag sogar von derzeit 19 % auf 22 % im Jahr 2030 ansteigen soll? Erforderlich wäre an erster Stelle ein Grundfreibetrag wie bei der Einkommensteuer sowie eine paritätische Auftraggeber Beteiligung. Damit könnte der weit verbreiteten Praxis von „Scheinselbstständigkeit“ ein Riegel vorgeschoben werden. Keinesfalls darf, wie beim Negativbeispiel gesetzliche Krankenkasse, eine Mindestbeitragsbemessungsgrundlage geschaffen werden: Ein Soloselbstständiger, der weniger als 1.000 EUR im Monat verdient, darf nicht den gleichen Beitrag bezahlen müssen wie jemand, der ein doppelt so hohes Einkommen hat. Ganzheitlich gedacht würden insbesondere auch die verkammerten Berufe (Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Architekten usw.) und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Da der Widerstand dieser Beschäftigtengruppen jedoch erheblich sein dürfte, ist in naher Zukunft wohl nicht mit einer gesetzlichen Rente für alle zu rechnen. DANIEL STACH, Berlin

Keine Existenzängste

betr.: „Waffenexporte leicht gesunken“, taz vom 15. 6. 17

Ein Hoch auf unsere Bundesregierung, mit dem großen Erfolg, die Waffenexporte leicht zurückzufahren! Nein, Spaß bei Seite, es ist immer noch mehr als ein Armutszeugnis, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren der Welt gehört! Und es ist nur schwer zu glauben, dass die Waffenlobby jetzt durch den leichten Rückgang der Waffenexporte nun Existenzängste haben muss! Ein klares Signal wäre es, Waffenexporte zu stoppen und gemeinsam für Abrüstung in der Welt zu sorgen, aber daran scheint die Bundesregierung wohl nicht so richtig Interesse zu haben, der Staat verdient ja an Waffenexporten durchaus mit! Wie war der Spruch nochmal: Deutsche Waffen, deutsches Geld schaffen Ordnung in der Welt! RENÉ OSSELMANN, Magdeburg

Verwaschen ist das neue Grün

betr.: „Grüne gewinnen Blumentopf“, taz vom 15. 6. 17

Grüne sind nur noch Mehrheitsbeschaffer für eine neoliberales Deutschland und sie führen den Kurs der CDU, FDP und SPD weiter. Nachhaltige, soziale und ökologische Politik gibt es so gut wie nicht mehr. Das neue „Grün“ ist verwaschen und ausgeblichen! Drohende Altersarmut von Millionen lohnabhängig Beschäftigter und nun sinkt der Mindestlohn in Schleswig-Holstein von 9,99 Euro auch noch auf 8,84 Euro. Der neoliberale Kurs geht weiter. 120 Millionen Euro mehr für die Sanierung und Straßenbau, 40 Millionen für den ÖPNV, 10 Millionen für Elektromobilität und 10 Millionen für das Radwegenetz. Was einem Witz gleichkommt! Auf der Bahnstrecke von Hamburg nach Westerland/Sylt gibt es seit Jahrzehnten chaotische Zustände. Zugausfälle, Verspätungen, defekte Gleisanlagen, altes Material. Die Grünen wollten den ÖPNV stärken? Bis heute funktioniert das nicht. Mehr noch: Privatisierung und Ausschreibungen auf Teufel komm raus ist das neoliberale Credo, bezahlt durch steigende Preise für Pendler/innen und Verschwendung von Ressourcen. Radwege werden nicht ausgebaut und, wenn vorhanden, vernachlässigt. Der Ausbau von Windeignungsflächen wird auch immer abstruser, diese werden in Kugelrunden sogar in Tabuzonen genehmigt (grünes Umweltministerium), wie in Enge-Sande bei Niebüll. Und welche Zukunft sollen die geflüchteten Menschen bei uns haben? Keine mehr? Abschieben wie es die CDU und FDP wünschen? SVEN BOHL, Niebüll

Blaupause für die Industrie

betr.: „VW-Konzern trickst wohl weiter“, taz vom 13. 6. 17

Die Wortwahl zuerst: Den systematischen Verstoß gegen geltendes Recht zum eigenen Vorteil und zu Lasten der Gesellschaft mit „trickst wohl weiter“ zu übertiteln, wird dem Inhalt wohl kaum gerecht! Zur Sachlage: Offenbar staatlich tolerierter Gesetzesbruch im Rahmen einer Konzernorganisation – zumal öffentlich – ist eigentlich schon bedeutender als die sogenannte „organisierte Kriminalität“. Hier wird schiere Wirtschaftsmacht schamlos ausgenutzt (Produktionsmittel, Arbeitsplätze, Steuerleistung). Eine Blaupause für die weiteren „Konzentrationsindustrien“, der Gesellschaft zu zeigen, wer hier die Ansagen macht.

WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen