piwik no script img

Die Axt im Walde

Raubbau Die Zerstörung der letzten europäischen Urwälder schreitet voran – selbst der Status Weltnaturerbe und geltende Gesetze konnten die Frevler bisher nicht stoppen. In Deutschland gibt es noch rund 100 Hektar

In den Karpaten: „schwerwiegender Verstoß gegen geltendes EU-Naturschutzrecht“ Foto: M. Kobal/Greenpeace

Von Bernward Janzing

Um direkt mit einem Irrtum aufzuräumen: Urwälder gibt es nicht nur in Übersee, es gibt sie auch nach wie vor in Europa. Aber die letzten Reste dieser spektakulären Naturlandschaften sind durch Wirtschaftsinteressen massiv gefährdet, schließlich ist Holz ein international immer stärker begehrter Rohstoff.

„Die Urwälder in Rumänien und Polen sind am meisten bedroht“, sagt Matthias Schickhofer, Fotograf und Waldexperte aus Österreich, der die Schönheit europäischer Naturwaldgebiete fotografisch dokumentiert hat. Er beschreibt die unberührten Wälder als „eine archaische Anderswelt“, spricht von „wahren Waldmeeren“, die er gesehen habe in den östlichen Karpaten in Rumänien und der Ukraine sowie in den Dinarischen Gebirgen in Kroatien. Es waren „geschlossene Baumdecken bis zum Horizont“.

Eine faszinierende Welt, deren Zeit abzulaufen droht – sofern es nicht gelingt, die Profiteure zu stoppen, die diese Naturschätze skrupellos ausbeuten. In Rumänien, wo vor zehn Jahren noch 220.000 Hektar Urwald bestanden, seien seither 100.000 Hektar zerstört worden, schätzt Schickhofer. Ungeniert ignorierten die Verantwortlichen geltende Gesetze.

Das bestätigt auch die international tätige Naturschutzstiftung Euronatur, die in Rumänien einen „schwerwiegenden Verstoß gegen geltendes EU-Naturschutzrecht“ beobachtet. Denn obwohl alle Urwälder im Land seit 2008 unter strengem gesetzlichem Schutz stehen, geht die Urwaldvernichtung weiter, etwa im Şinca-Urwald sowie im benachbarten Strâmbei-Tal im Făgăraș-Gebirge. „Der Schutz, den die Gesetze formal gewähren, wird im Vollzug schlicht ignoriert“ sagt Euronatur-Geschäftsführer Gabriel Schwaderer. In Polen wird gleichzeitig der Nationalpark Białowieża zerstört, obwohl dieser seit 1979 als Unesco-Weltnaturerbe anerkannt ist. Das Areal dehnt sich bis Weißrussland aus und ist Heimat von mehr als 5.500 Pflanzenarten und mehr als 11.000 Tierarten. Unter anderem ist das Gebiet Heimat der größten Population von frei lebenden Wisenten in Europa.

Doch die polnische Regierung hat es auf das wertvolle Holz abgesehen und akzeptiert daher massive Einschläge, sogar Kahlschläge. Sieben Umweltschutzorganisationen, darunter der WWF und Greenpeace, haben bei der EU-Kommission nun Beschwerde eingereicht, um diese Umweltzerstörung zu verhindern. Lenkt Warschau nicht in Kürze ein, wird dies ein Fall für den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

Schon lange zerstört sind die Urwälder in Deutschland, bis auf einige Relikte. Gerade noch rund 100 Hektar kommen im ganzen Land zusammen, wobei die Abgrenzung zwischen Urwäldern und anderen alten Naturwäldern immer schwer ist. Die beiden größten Flächen befinden sich im Natio­nalpark Bayerischer Wald, ein paar Hektar urtümlichen Waldes gibt es ferner in den bayerischen Alpen sowie im Kellerwald in Hessen, im Steigerwald und im Spessart. Der Hainich-Wald in Thüringen, ein Teil des größten deutschen Laubwaldgebietes, soll unterdessen wieder zum Urwald heranreifen. Und dann ist da noch die Ostseeinsel Vilm im Rügischen Bodden mit einem der urwüchsigsten Wälder Deutschlands – ein ganz besonderes Kleinod.

All das sind die bescheidenen Reste eines einst großen Schatzes. Nur mehr vier Tausendstel der mitteleuropäischen Wälder seien heute noch in einem urwaldähnlichen Zustand, sagt Schickhofer: „Wir Europäer haben ,unseren Amazonas' in den vergangenen 1.000 bis 2.000 Jahren bis auf vergleichsweise winzige Reste eliminiert.“ Und deswegen sind die letzten verbliebenen europäischen Urwälder ökologisch auch so wertvoll.

In Deutschlandentstehen neue ökologische Inseln, Refugien abseits kurzfristiger ökonomischer Interessen

Doch ob als Bau- und Möbelholz, als Brennstoff oder für die Papierindustrie – die Nachfrage nach Holz durch massiv boomende Märkte weltweit gefährdet die alten Biotope. Längst ist das Geschäft ein globales: In Rumänien zum Beispiel ist der schwedische Möbelkonzern Ikea heute größter Eigentümer von Privatwald mit mindestens 47.000 Hektar. Beobachter erwarten den Kauf weiterer Flächen.

Während Firmen Wälder zur Nutzung und allzu oft auch zur Ausbeutung kaufen, kann Eigentum in den richtigen Händen die Wälder aber auch retten. Das ist das Konzept der Nabu-Stiftung Nationales Naturerbe. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, neue hochwertige Biotope heranreifen zu lassen, indem sie Flächen erwirbt, auf denen die Natur fortan wieder Natur sein darf. Sie sind damit langfristig unter Schutz gestellt.

Die gemeinnützige Stiftung hat bereits 17.600 Hektar Land in Deutschland erworben, darunter 6.000 Hektar Wald, außerdem Offenland, Gewässer und Tagebaulandschaften in der Niederlausitz. Manche Flächen verpachtet die Stiftung unter strengen Naturschutzauflagen, andere bleiben komplett sich selbst überlassen, renaturieren also nach ihren eigenen Regeln. So entstehen in Deutschland neue ökologische Inseln – Refugien abseits des Diktats der kurzfristigen ökonomischen Interessen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen