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Mit den Jahren lässt der Impfschutz nach

Impfstoffhersteller zieht Blockbuster zurück. Bei dem Sechsfach-Impfstoff für Kinder soll die Langzeitwirkung für den Hepatitis-B-Schutz versagen

Der Kombinations-Impfstoff Hexavac, der Kinder vor sechs Krankheiten bewahren soll, wird vom Markt genommen. Die Firma Sanofi Pasteur MSD, die laut Pressesprecher Michael Kölsch seit 2001 fünf Millionen Hexavac-Dosen in Deutschland verkauft hat, reagiert damit auf eine Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA). Die plädiert dafür, die Zulassung des Präparates ruhen zu lassen, weil dessen „Langzeitschutz“ gegen die Leberentzündung Hepatitis B möglicherweise vermindert sei. Gefährlich sei Hexavac aber nicht; wer damit geimpft sei, könne davon ausgehen, ausreichend geschützt zu sein gegen Tetanus, Keuchhusten, Kinderlähmung, Diphtherie und Haemophilus influenzae Typ b.

Die Bundesbehörde Paul-Ehrlich-Institut (PEI), die hierzulande über die Sicherheit von Impfstoffen wacht, bezeichnet die EMEA-Empfehlung als „Vorsichtsmaßnahme aufgrund von aktuellen Studien“. Um welche Untersuchungen es sich konkret handeln soll, lässt das PEI in seinen „Informationen für Ärzte und Apotheker“ allerdings offen.

Das Fachblatt arznei-telegramm (a-t), das Pharmaprodukte kritisch beobachtet, überraschen die aktuellen Bedenken nicht. Bereits im Juni 2001 hatte die a-t-Redaktion über zwei Studien mit insgesamt 1.207 Säuglingen berichtet, deren Ergebnisse die Langzeitwirkung von Hexavac gegen Hepatitis B fraglich erscheinen ließen.

Bisher sind in Deutschland zwei Sechsfach-Impfstoffe zugelassen. Schlagzeilen machen sie spätestens seit April 2003. Damals hatte das PEI mitgeteilt, binnen zweieinhalb Jahren seien fünf Kinder aus Deutschland und Österreich „in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung“ gestorben. Die Betroffenen „galten zum Zeitpunkt der Impfung als gesund“.

Erst nach Meldung des vierten Todesfalls sah sich das PEI im Februar 2003 veranlasst, die EMEA in London ohne öffentliches Aufsehen einzuschalten. Deren Beruhigungspille folgte zwei Monate später: Die EMEA-Experten kamen „mehrheitlich“ zu dem Schluss, dass ein „ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Tod der Kinder nicht belegt“ sei.

Auch in seiner aktuellen Mitteilung schreibt das PEI, es gebe „keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Hexavac“. Das arznei-telegramm bleibt jedoch skeptisch und rät „vorsichtshalber“ zur Verwendung von Präparaten, die weniger komplex zusammengesetzt sind. Außerdem seien die Sechsfach-Impfstoffe bereits bei ihrer Zulassung aufgefallen. „Als besonderes Problem“, schrieb das Fachblatt im Juni 2003, „gelten starke Fieberanstiege mit Temperaturen über 40 Grad Celsius.“

Berichte über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Komplikationen nach Sechsfach-Impfungen sind laut PEI „zahlreicher“ als bei den weniger komplexen Vorläuferpräparaten. Zu den beiden Sechsfach-Vakzinen, mit denen hierzulande rund 80 Prozent der Kinder geimpft würden, seien bis Ende 2003 exakt 488 Meldungen eingegangen. Dabei räumt das PEI ein, dass die Erfassung möglicher Impfschäden seit Jahren lückenhaft ist. Die gesetzliche Meldepflicht, gültig seit 2001, sei „noch nicht allen Ärzten bekannt“.

Zur Aufklärung früher Todesfälle beitragen soll die „TOKEN-Studie“, die das Robert-Koch-Institut gestartet hat. Bis Mitte 2009 will man mit Hilfe aller Gesundheitsämter erfasst haben, woran Kinder starben, die höchstens zwei Jahre alt wurden. Beleuchtet werden sollen „Risikofaktoren“ wie Lebensumstände, Geburtsverläufe, Erkrankungen, Medikamente und auch Impfungen. Die Studie wird von zwei Impfstoffherstellern mitfinanziert.

„Skandalös“ findet das der impfkritische Verein „Impfaufklärung“. Die Vorsitzende Angelika Kögel-Schauz fordert, Verflechtungen zur Pharmaindustrie offen zu legen und Studiendaten laufend und zeitnah zu veröffentlichen.

KLAUS-PETER GÖRLITZER

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