die taz vor 11 Jahren zum „soldaten sind mörder“-urteil des bundesverfassungsgerichts
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„Soldaten sind Mörder.“ Über Jahrzehnte wurden in der Bundesrepublik diejenigen verurteilt, die diese Parole schwangen. Es waren die Jahrzehnte, in denen die Chancen deutscher Soldaten, zu Mördern zu werden, ziemlich eingeschränkt blieben. Just in dem Moment, in dem die militärische Selbstbeschränkung nicht mehr zeitgemäß scheint und die verfassungsrechtlichen Restriktionen für den Einsatz der Bundeswehr von höchster Stelle aus beseitigt wurden, entfällt auch die juristische Sanktion der „Mörder“-Parole. Ein wirklich schöner, ein quasi liberaler Zufall. Der Beschluß des Verfassungsgerichtes wirkt wie eine nachholende Anpassung der Rechtslage an die neuen Verhältnisse. Es erscheint angemessen, daß diejenigen, die künftige Auslandseinsätze deutscher Soldaten für politisch richtig und gerechtfertigt halten, nicht qua juristischer Sanktion vor den härtesten, verbalen Attacken ihrer Gegner verschont bleiben.

Das sagt nun wirklich nichts über den Wahrheitsgehalt der Parole. „Soldaten sind Mörder“, „Neger sind dumm“, „Männer sind Vergewaltiger“, die Struktur solcher Urteile ist immer die gleiche. Sie sind schwer erträglich, aber auch schrille Dummheiten und verletzende Übertreibungen sind vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Schön zu wissen. In der Bestätigung dieses Grundrechtes liegt die Qualität des Karlsruher Beschlusses.

Eher als um die Würde des Soldaten sorgt sich Verteidigungsminister Rühe um Ruf und Legitimation der Bundeswehr – und ihrer Einsatzperspektiven. Denn die Parole „Soldaten sind Mörder“ ist die härteste These gegen die Verniedlichungskampagne, mit der die jahrzehntelange Pazifizierung des öffentlichen Bewußtseins unterlaufen werden soll. taz, 22. 9. 1994, Matthias Geis