97 Prozent von 23 Prozent

Puerto Rico Die große Mehrheit der Puertoricaner boykottierte ein Referendum über den Anschluss der Insel als 51. Bundesstaat der USA. Der Rest stimmte klar dafür

Am Wahltag gab es im Finanzdistrikt Proteste für die Unabhängigkeit Foto: Carlos Giusti/ap

Aus San Juan Dorothea Hahn

„Eine klare Botschaft an Washington“, nannte Gouverneur Ricardo Rosselló am Sonntagabend das Ergebnis seines Referendums. Danach haben 97 Prozent der WählerInnen dafür gestimmt, dass Puerto Rico – eine der letzten Kolonien der Welt – der 51. Bundesstaat der USA wird. Allerdings folgte die überwiegende Mehrheit der InsulanerInnen den Boykottaufrufen der Oppositionsparteien. Auf einer Insel, wo die Wahlbeteiligung gewöhnlich um die 80 Prozent liegt, gingen dieses Mal nur 23 Prozent an die Urne.

„Eine Farce“ und „ein Ablenkungsmanöver“ hatten Oppositionelle gesagt, als Gouverneur Rosselló zu dem Referendum aufrief. Sie übermalten seine Plakate mit der Farbe blau, die für Wahlboykott stand. Infolge einer Beschwerde über eine irreführende Fragestellung im Referendum verweigerte auch das Bundesjustizministerium in Washington die finanzielle Unterstützung zur Ausrichtung des Urnengangs. Der Gouverneur hielt ihn trotzdem ab und gab 8 Millionen Dollar aus den öffentlichen Kassen dafür aus.

Dabei steht Puerto Rico vor einem schier unüberwindlichen Schuldenberg. Die Insel steht mit 123 Milliarden Dollar in der Kreide: 74 Milliarden Dollar Schulden für Kommunalobligationen und 49 Milliarden von nicht gedeckten Pensionsverpflichtungen.

Washington hat Puerto Rico unter die finanzielle Oberaufsicht einer Junta gestellt, die der Inselregierung radikale Sparpläne abverlangt. Die sorgen unter anderem dafür, dass in diesem Sommer 167 Schulen definitiv schließen werden, dass Zigtausende öffentliche Beschäftigte entlassen und sämtliche Sozialleistungen gekürzt worden sind. Auch aus dem Haushalt der Inseluniversität sollen mehr als 500 Millionen Dollar gestrichen werden. Die StudentInnen, die dagegen seit Ende März gestreikt hatten, gaben ihren Protest am Ende vergangener Woche auf.

Puerto Rico, das bis 1898 eine spanische Kolonie war und danach an die USA ging, ist ein assoziiertes Territorium, dessen BewohnerInnen nur eingeschränkte Bürgerrechte haben. Sie besitzen zwar die Staatsangehörigkeit der USA, dürfen jedoch deren Präsidenten nicht mitwählen und sind im Kongress lediglich durch eine Kommissarin ohne Stimmrecht „vertreten“.

Puerto Rico ist ärmer als Mississippi, der ärmste Bundesstaat der USA, und die Arbeitslosigkeit auf der Insel ist mit 12 Prozent über doppelt so hoch wie in den USA. Hilfsorganisationen befürchten, dass die Einschnitte nun zu humanitären und gesundheitlichen Katastrophen führen könnten.

Die Massenabwanderung von der Insel erschwert die Lage weiter. Im zurückliegenden Jahrzehnt haben mehr als 400.000 Menschen Puerto Rico verlassen. Fast alle gingen in die USA, wo heute mehr als fünf Millionen Puertoricaner leben, während es auf der Insel nur noch knapp über drei Millionen sind. Durch den Weggang der Menschen im arbeitsfähigen Alter fließen noch weniger Steuergelder in die Kassen von Puerto Rico.

Die Insel ist in die Krise gestürzt, seit Washington im Jahr 2006 einen Teil der traditionellen Steuervorteile für US-Konzerne in Puerto Rico abgeschafft hat. Die meisten Konzerne, darunter zahlreiche Pharmagruppen, verließen die Insel. Um die Lücke zu füllen, nahm die Inselregierung Rekordschulden auf, die wiederum für Wall-Street-Investoren attraktiv waren, weil ihre Rendite steuerfrei bleibt.

Gouverneur Rosselló, ein Demokrat, hat sein Referendum damit begründet, dass der Status als Bundesstaat Zugang zu politischen Rechten und finanziellen Hilfen aus Washington sichere. Es war das fünfte Referendum über eine Veränderung des Status der Insel in fünf Jahrzehnten. Die GegnerInnen eines 51. Bundesstaates argumentieren unter anderem damit, dass sie nicht von den USA aufgesogen werden und ihre kulturelle Identität und Sprache – das Spanische – verlieren wollen. Verändert haben die Referenda nichts. Denn für den Kongress in Washington ist ihr Ausgang nicht bindend.

Gouverneur Rosselló will jetzt eine Verhandlungskommission nach Washington schicken. Doch das Ergebnis seines boykottierten Referendums wird seine Position nicht stärken.