Vittorio de Sicas Film „Fahrraddiebe“
: Die Bicicletta als Objekt des Mangels

Als das Rad noch da war: Lamberto Maggiorani als Antonio und Enzo Staiola als sein Sohn Bruno in Vittorio De Sicas „Fahrraddiebe“ Foto: akg-images

Wenn einem das Fahrrad gestohlen wird, schmerzt das besonders. Es ist nicht einfach ein Gebrauchsgegenstand, man geht mit ihm eine körperliche Beziehung ein. Im Sattel bewegt man sich fast autonom im Raum, angetrieben durch die Bewegung der Füße. Ohne kann man sich schon ein wenig amputiert fühlen.

Das Fahrrad kann aber noch auf viel existenziellere Weise fehlen. Bei Antonio, der Hauptfigur in Vittorio De Sicas Neorealismus-Klassiker „Fahrraddiebe“, ist es notwendiges Mittel zum Broterwerb und damit Schlüssel zur sozialen Teilhabe. Arbeit ist rar im Nachkriegs-Rom des Jahres 1948, Antonio schlägt sich als Tagelöhner durch, dann endlich bekommt er richtige Arbeit angeboten, Plakate kleben – von Rita Hayworth –, die Bezahlung stimmt, Überstunden werden vergütet, einen Familienzuschlag gibt es auch.

Allerdings – man braucht ein Fahrrad. Sonst keine Stelle. Antonio hat seins verpfändet, weil er Geld brauchte. Damit ist das Fahrrad zunächst ein Objekt des Mangels. Und wird es für den Rest des Films bleiben. Denn kaum hat Antonios Frau Maria die Bettwäsche ebenfalls ins Pfandhaus getragen und das Fahrrad wieder ausgelöst, hat Antonio seinen ersten Arbeitstag angetreten und mit dem Plakatieren begonnen – da wird ihm das Rad gestohlen.

Für den Rest des Films versucht Antonio, begleitet von seinem Sohn Bruno, das Rad wiederzufinden. Erst auf der Pizza Vittorio, dann an der Porta Portese, wo die Fahrradhändler (und mutmaßlichen Hehler) sind. Nachdem man anfangs die Plakatkleber scharenweise auf ihren Rädern hat ausschwärmen sehen, akrobatisch mit geschulterten Leitern in der einen Hand, sieht man nun eine Parade von Fahrradteilen – Reifen, Klingeln, Felgen samt Speichen –, unter denen Antonio sein Eigentum sucht. Doch nichts zu machen. Er kriegt die Teile nicht mehr zusammen.

Man sieht eine Welt, die sich ums Fahrrad dreht, und die Straßen Roms, auf denen damals deutlich mehr Fahrräder als Autos unterwegs waren – die allgegenwärtigen Vespas von heute spielten noch keine Rolle – der Motorroller war gerade mal seit zwei Jahren auf dem Markt. Nebenbei schließlich lernt Antonio eine Lektion: Sogar Fahrradklauen will gekonnt sein. tcb