Verschnaufpause für Temer

Brasilien Der Präsident bleibt im Amt – vorerst. Eine erste Klage wegen illegaler Finanzierung des Wahlkampfs wird vor Gericht abgewiesen. Die Beweise, so die Richter, kamen zu spät ans Licht

Vielbeschäftigt: Justitia-Standbild am Parlament in Brasilia Foto: reuters

AUS RIO DE JANEIRO Andreas Behn

Nur knapp hat Brasiliens Präsident Michel Temer seinen Kopf gerettet. Vier von sieben Richtern des Obersten Wahlgerichts sprachen ihn von dem Vorwurf illegaler Wahlkampffinanzierung im Jahr 2014 frei. Temer kandidierte damals als Vize der siegreichen Präsidentin Dilma Rousseff, mit der er dann brach und die er im Mai 2016 aus dem Amt drängte.

Der unbeliebte und bis zum Hals in Korruptionsaffären verstrickte Regent bleibt also im Amt – vorerst: Seine früheren Bündnispartner im linken Spektrum wie jetzt auch ein Teil seiner neuen Koalitionspartner ganz weit rechts fordern seinen sofortigen Rücktritt. Mehrere Amtsenthebungsverfahren liegen dem Parlament vor, und die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Temer wegen Bestechlichkeit, Behinderung der Justiz und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ohne die Immunität des hohen Staatsamts müssten Temer und mehrere seiner Minister befürchten, direkt vom Regierungsviertel ins Gefängnis umzuziehen.

Das Urteil vom Freitagabend zeigt, wie weit der Verfall des politischen Systems Brasiliens bereits fortgeschritten ist. Alle Richter waren sich einig, dass es im Wahlkampf zu schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten kam. Zu einer Verurteilung reichte dies jedoch nicht, da vier Richter aus formalen Gründen die erst später gesammelten Korruptionsbeweise nicht berücksichtigen wollten. Der Gerichtsvorsitzende Gilmar Mendes begründete seinen Freispruch für Temer damit, dass andernfalls auch viele vorhergehende Wahlen annulliert werden müssten.

Noch fragwürdiger ist der eigentliche Anlass für diesen Prozess, in dem es ursprünglich um Präsidentin Rousseff ging. Klägerin war die konservative Partei PSDB, deren Kandidat Aécio Neves in der Stichwahl 2014 nur auf Platz zwei landete. Gemeinsam mit anderen Oppositionsparteien, Unternehmerverbänden und den großen Medien setzte die PSDB alles daran, eine vierte Legislaturperiode unter der linken Arbeiterpartei PT zu verhindern.

Temer beugt sich dem Druck nicht. „Rücktritt niemals“ ist seine Devise

Die Klage vor dem Wahlgericht war einer der möglichen Wege. Aber es ging schneller: Anfang 2016 kündigte Temers PMDB die Koalition mit Roussefs PT auf, es folgte die Suspendierung Rousseffs durch das Parlament, was sie als „institutionellen Putsch“ verurteilte. Temer wurde Präsident und verordnete dem Land eine strikte Sparpolitik ganz nach Geschmack seiner neuen Bündnispartner von der konservativen PSDB. Aber deren Klage war weiter vor Gericht anhängig und bedrohte nun Temers PMDB.

PSDB-Chef Aécio Neves ist inzwischen von der Realität eingeholt worden: Im Mai wurden Audiomitschnitte veröffentlicht, in denen er umgerechnet 600.000 Euro Schmiergeld vom Boss des weltgrößten Fleischunternehmens JBS erbittet. Er verlor daraufhin den Parteivorsitz sowie sein Senatorenamt und kann aufgrund von sechs anhängigen Korruptionsverfahren jederzeit hinter Gitter kommen. Auch Temer selbst wurde bei einer Absprache über Schweigegeldzahlungen belauscht, mehrere enge Berater wurden festgenommen.

Temers Bündnispartner gingen auf Distanz: Allen voran der einflussreiche Medienkonzern „Globo“, und danach mehrere kleine Parteien und Koalitionspolitiker machen plötzlich Front gegen ihn. Sie glauben nicht mehr, dass der angeschlagene Präsident die im Sparpaket vorgesehenen Reformen von Arbeitsrecht und Rentensystem durchsetzt. Doch Temer beugt sich dem Druck nicht. „Rücktritt niemals“ ist seine Devise. Dazu plant er offenbar, gegen die Korruptionsermittler in Polizei und Justiz vorzugehen. Laut Presseberichten soll Temer sogar Spitzel des Geheimdienstes auf den obersten Richter Edson Fachin angesetzt haben, der die Korruptionsermittlungen führt.