Player im Sklavenhandel

Geschichtsvergessenheit Wie Emden zum Auslauf-Hafen der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie wurde – und heute die Erinnerung daran verdrängt

Ort der Grausamkeit: Fort Groß Friedrichsburg an der Küste des heutigen Ghana, nach einem zeitgenössischen Plan. Die kleinen Häuser unterhalb des Forts sind das sogenannte „Afrikanerdorf“ Foto: Wikimedia Commons

von Florian Schlittgen

Hell strahlt die Sonne über Emden, der größten Stadt Ostfrieslands am Mündungsästuar der Ems. Was sich sonst mit Wind und Regen in einem matten Grau verhüllt, erstrahlt in einer untypischen Wärme. So auch zwei Kanonen, die sich auf der Promenade am historischen Hafen der Stadt eingegliedert haben. Unter derselben Sonne türmten die Geschütze 300 Jahre zuvor, nur im heutigen Ghana, wie eine kleine Eisentafel verrät, „zum Schutz der Feste Gross-Friedrichsburg“.

Warum diese Festung an der westafrikanischen Küste beschützt werden sollte, verrät die Eisentafel jedoch nicht. Zu blutig ist vielleicht die Geschichte, die sie erzählen müsste und zu unliebsam die Rolle, die Emden in dieser eingenommen hat. Die damalige afrikanische Kolonie des Kurfürsten Friedrich Wilhelm war Teil eines Dreieckhandels, bei dem Menschen verschleppt und als Sklav*innen verkauft wurden, zwischen Afrika, der Karibik und eben Emden.

Doch davon erfährt man auch sonst kaum etwas in der kleinen Hafenstadt am nordwestlichen Zipfel Niedersachsens. Einzig eine kleine Infotafel im Ostfriesischen Landesmuseum spricht von Emden vor dem Hintergrund des Menschenhandels im 17. Jahrhundert. Das ist viel zu wenig angesichts der Verantwortung, die die Stadt gegenüber der eigenen Geschichte hat.

Emden war ab 1683 Heimathafen und Miteigner der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie (BAC). Begründet wurde das Unternehmen vom preußisch-brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der nach dem Vorbild der großen europäischen Kolonialmächte einen eigenen Überseehandel aufbauen wollte. „Die Heimathäfen Königsberg und Pillau des Kurfürsten waren für dieses Vorhaben ungünstig“, kommentiert Rolf Uphoff, Leiter des Emdener Stadtarchivs, „es brauchte einen Zugang zur Nordsee“. Und den hatte die Stadt Emden, die sich vom Einzug der Preußen ein lukratives Geschäft versprach. Erhöhter Handel und ein Ausbau des Schiffsgewerbes waren der eine Grund. Vor allem aber bedeutete Brandenburg-Preußen eine neue Schutzmacht, da die Stadt wie auch die ostfriesischen Stände sich im Streit mit ihrer Fürstin, Christine Charlotte, befanden. Mit der Compagnie kamen so auch brandenburgische Soldaten und damit diese auch blieben, privilegierte Emden die Compagnie mit Zollfreiheit und Treue, also einem Handelsmonopol.

Zu den Handelswaren der BAC gehörten koloniale Güter (darf das so gesagt werden?) wie Elfenbein, Gold und Zucker – vor allem aber Sklav*innen. Diese wurden aus der brandenburgischen Kolonie Groß Friedrichsburg in Westafrika eingekauft, eben jener Kolonie, wo einst die Kanonen dafür sorgten, konkurrierenden Handel und Piraterie zu zerschlagen. Der dortige Betrieb war so brutal, wie es der Handel mit Menschen ist. Wenn die künftigen Sklaven im Fort Groß Friedrichsburg interniert wurden, wurden sie mit den Ini­tialen der Afrikanisch-Brandenburgischen Compagnie gebrandmarkt und anschließend unter unmenschlichen Bedingungen nach St. Thomas verschifft, einer kurbrandenburgischen Kolonie auf der heutigen Amerikanischen Jungferninsel Saint Thomas in der Karibik, die damals zu Dänisch-Westindien gehörte – die Brandenburger hatten einen Teil der Insel von Dänemark gepachtet.

Die hier errichtete Faktorei war ein „sicherer Umschlagplatz“ und die Insel ein stark frequentiertes Handelsziel. Über 1.000 Schiffsankünfte konnte St. Thomas im Jahr verbuchen. Das gefragteste Gut waren Sklav*innen, die auch das „Fundament der Compagnie“ bildeten, wie es in einem internen Schreiben heißt. Mit Zucker und Rum beladen segelte die kurbrandenburgische Flotte dann aus der Karibik wieder zurück nach Emden, um zeitweise einen Gewinn von 400 Prozent verbuchen zu können.

Diese Geschichte ist kein Geheimnis und darum wundert es umso mehr, warum die Stadt Emden ihre Zeugnisse unkommentiert ins Stadtbild integriert. Die Kanonen am Ratsdelft sind hier nur ein Beispiel. Gleiches gilt für eine Statue des Kurfürsten, die 1901 zur Eröffnung des Emder Außenhafens im Stadtgarten aufgestellt wurde und seit 1966 ihren Platz an der südwestlichsten Land­ecke Emdens gefunden hat. Dort schaut er aufs Meer, von dem einst seine Schiffe ausfuhren, um Profit mit schätzungsweise 30.000 Menschenleben zu machen. Die kleine Inschrift am Sockel gedenkt seiner weiterhin als „Grossen Kurfürsten“.

Wenn die künftigen Sklaven im Fort Groß Friedrichsburg interniert wurden, wurden sie mit den Initialen der afrikanisch-brandenburgischen Kompanie gebrandmarkt und anschließend nach St. Thomas verschifft

„Eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Geschichte kolonialer Verbrechen fehlt in Emden“, sagt Michael Skoruppa, Vorsitzender der Ubbo-Emmius-Gesellschaft, die sich für eine politisch-historische Forschung in der Ems-Dollart-Region einsetzt. Die Stadt weigere sich, ihr Erbe kritisch zu reflektieren und präsentiert stattdessen eine Light-Version ihrer Geschichte. Weil Denkmäler und Artefakte für sich selbst nicht sprechen können, kommt es immer darauf an, in welchen Kontexten sie ausgestellt werden. Erst dadurch wird auch entschieden, an was sie erinnern. Das Auslassen einer kritischen Betrachtung – gerade wenn die Fakten bekannt sind – wird so zu einer nachträglichen Zustimmung zum Geschehenen.

Einen ähnlichen Geist verrät der Umgang mit dem Ehrendenkmal der „SMS Emden“, das im Ostfriesischen Landesmuseum ausgestellt ist. 200 Jahre nach den Kolonialismusbestrebungen des Kurfürsten war das kaiserliche Kriegsschiff ebenfalls in kolonialer Mission unterwegs: Die „SMS Emden“ wurde nicht nur im ersten Weltkrieg eingesetzt, wie die Infotafel im Museum nahelegt. Im Jahr 1911 wurde mit ihrer Hilfe ein Aufstand in Deutsch-Neuguinea niedergeschossen. Die dortigen Sokehs rebellierten gegen die deutsche Kolonialherrschaft – erfolglos. Fast alle mussten ins Exil flüchten, siebzehn wurden hingerichtet.

Dass sich dieser Punkt in der langen Aufreihung angefahrener Orte der „SMS Emden“ nicht wiederfindet, ist erstaunlich. Unheimlich wird es dann, wenn man weiß, dass das Ehrendenkmal für das Kriegsschiff 1934 von Nationalsozialist*innen in Auftrag gegeben und feierlich eingeweiht wurde. Doch das wird im Landesmuseum nicht erwähnt. So erinnert das Denkmal, so wie seine Errichter es wollten, an ein „ruhmvolles Schiff“ und seine Verdienste fürs „Vaterland“.