Kritik: Radek Krolczyk über die Fassade der Aids-Hilfe
: Wie ein böser Fluch

Die neue Fassade der Aids-Hilfe am Sielwall Foto: Florian Schlitten

Am Sielwall sieht es aus, als hätte es einen Brand gegeben. Nahe der Kreuzung steht seit letzter Woche ein kohlrabenschwarzes Haus mit etwas Rot. Doch im Viertel hat es überhaupt nicht gebrannt. Es fehlt auch der Geruch von Löschwasser und Rauch, und doch ist ein Hauch von Tod und Verderben spürbar. Was war geschehen?

Die finstere Fassade des Gebäudes mit der Adresse Sielwall 3 ist eine Auftragsarbeit, die der Bremer Autor und Künstler Sönke Busch für die Bremer Aids-Hilfe erledigt hat. Das Haus gehört dem Verein, der sich um „Suchterkrankungen und sexuelle Gesundheit“ kümmert. In den am Sielwall untergebrachten Räumen kann man sich über die Risiken von Drogenkonsum informieren und bei Abhängigkeit Hilfe bekommen. Man kann sich im Schnelltest auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen. Außerdem hat der Verein Räume zum betreuten Wohnen für Jugendliche.

Die Fassade hat Busch nun schwarz angemalt und eine rote Aids-Schleife in die Mitte gesetzt. Die Schleife gilt weltweit als Symbol der Solidarität mit Menschen, die an Aids erkrankt sind. Das Bild ist leider vollkommen misslungen.

Eine mögliche Definition eines misslungenen Bildes könnte sein, dass es nicht erfüllt, was es eigentlich will. Das trifft in einem äußerst harmlosen Fall etwa dann zu, wenn jemand einen Elefanten malt, der unbedingt als Elefant erkennbar sein soll, und von der Mehrzahl seiner Betrachter leider aber hartnäckig für ein Känguru gehalten wird. Das ist harmlos, und so manches Missverständnis in der Kunst kann auch produktiv sein. Ein Elefant, der wie ein Känguru aussieht, hat Potenzial. In jedem Fall aber wohnt diesem ästhetischen Missverständnis eine bestimmte Bedeutung inne. Das ist bei jeder Art von Missverständnis, aber auch bei jeder Art von Ästhetik so.

Die Fassade des Gebäudes der Aids-Hilfe hat nun ein weit gravierenderes ästhetisches Missverständnis befallen. Allein schon deswegen, weil ein Gebäude weit wirkmächtiger ist als ein zweidimensionales Bild. Der große, schwarze Klotz strahlt in seine Nachbarschaft. Er lastet wie ein Schatten, wie ein böser Fluch auf seiner Umgebung.

Nun können fiese, finstere Gebäude natürlich auch einen gewissen Reiz haben. Einem autonomen Jugendzentrum kann man es nicht verdenken, dass es in schmutzig dunkler Farbe grimmig seine Zähne fletscht. Beim Sitz der Aids-Hilfe ist das natürlich anders. Die Einrichtung will Offenheit vermitteln, eine Beratung in unangenehmen, vielleicht peinlichen, in jedem Fall aber existenziellen Angelegenheiten sollte niedrigschwellig sein. Nun stellt der Sitz der Aids-Hilfe selbst bereits einen Makel dar. Das Haus droht seinen Besucherinnen und Besuchern. Ein offenes Beratungsgespräch scheint unvorstellbar. Unvorstellbar auch, man könnte es mit einem negativen Testergebnis wieder verlassen. Man geht nur dorthin, um zu sterben. Es wirkt wie ein Grabstein.

Ach ja, die rote Schleife! Schon anderswo wäre sie schlecht, aber egal. Doch da der Untergrund aber nun so fies ist, noch eine formale Bemerkung dazu: Eine durch Fenster durchlöcherte Fläche eignet sich schlecht für die Darstellung einer Form, deren Charakteristik es ist, eine einzelne Öffnung zu bilden.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K’.