Nachdenken ist Provokation

Kunst Mit ihrer Gruppenausstellung „Dejima“ versammelt die GAK künstlerische Positionen zu Grenzen und Flucht –und vermeidet dabei jeden Betroffenheitsschmarrn

Begrüßungsritual mit Wegwerfbechern: Eingang zur Ausstellung „Dejima“ in der GAK Foto: Franziska von den Driesch/GAK

von Jan-Paul Koopmann

Was will denn Kunst über Flucht noch groß erzählen, wenn die Bilderwelten in Medien und Köpfen doch längst überquellen: Von den Katastrophen am Anfang der Flucht, von den Vegetierenden in den Lagern an unseren Grenzen – und den Plastiksäcken am Strand, wo die Leichen drin stecken, von denen, die es trotz allem versucht haben? Und wer an all diese Betroffenheitslyriker und -musikanten denkt, oder an diese Performer, die sich ständig irgendwo wie das ertrunkene Kind Aylan Kurdi im roten Shirt an den Strand legen, der möchte doch nur noch sagen: Die Kunst, heute, hält am besten ihren Mund.

Dass es ganz so einfach aber nicht ist, beweist die GAK mit ihrer Fluchtausstellung „Dejima. Konzepte von Ein- und Ausschluss“. Ausgehend von der Idee dieser künstlichen Insel, die Japan während seiner Abschottung in der Edo-Zeit als Handelsposten aufgeschüttet hat, beleuchtet die Schau eben solche Nichträume aus Bürokratie, kultureller Identität und – vor allem – Ökonomie. Also eben nicht die Einzelschicksale, die so grauenhaft sind, dass sich ihre Ästhetisierung verbietet.

Natürlich knallt es so weniger. Dafür ist die Ausstellung zu klug kuratiert und ihre Werke zu ambivalent. Auch wegen dieser Motive, die man allesamt schon irgendwo gesehen hat: Meriç Algün etwa hat in ihrer Arbeit „Becoming European“ drei Bögen Papier mit Datumsangaben bestempelt und so die wechselnden Aufenthaltstitel auf dem Weg ihrer Einbürgerung nachSchweden dokumentiert. Klar kennt man diese Stempel und weiß, wofür sie stehen: Bürokratie, Menschen, die zu Zahlen werden und so weiter. Verblüffend sind aber die weißen Lücken in den eng gestempelten Blöcken, die dem Ganzen erst Form geben: Kein Stempel an jenen Tagen, wenn sich Algün außerhalb der Europäischen Unionen aufhielt, in ihrer Noch-Heimat Türkei etwa. Und ist schon irrtierend: diese bildliche Freiheit, gerade dann, wenn die Künstlerin von ihrem Ziel räumlich am weitesten entfernt war.

Algün ist eine von 13 Künstlerinnen und Künstlern, die in dieser Gruppenausstellung zu sehen sind. Die Widersprüche zwischen Heimaten hier und dort ziehen sich jedoch durch alle Arbeiten, ob nun Film, Installation, Objektkunst oder Fotografie. Wie künstlichen Grenzen ins Denken und Fühlen eindringen und es bestimmen, ist selten so ambivalent zu erfahren. Ebenso wie auch die Insel Dejima im 17. Jahrhundert das Land einerseits dem noch jungen Weltmarkt geöffnet hat, andererseits aber wohl gerade darüber die Abschottung stabilisiert hat: Weil der Warenverkehr genau hier und zu den Bedigungen der Staatsmacht möglich war.

In ihrem Werk tritt Freiheit gerade da am stärksten in Erscheinung, wo die Künstlerin von ihremZiel am weitesten entfernt ist

Die Insel selbst taucht in der Ausstellung nicht ausdrücklich auf, überhaupt geht es bei den Grenzen hier nicht immer, aber meist um welche in Köpfen von Menschen. Als Video zu sehen ist etwa eine Performance von Christian Falsnaes aus Kopenhagen. Er inszeniert sich als Anführer einer scheinbar politischen Bewegung ohne Inhalt: „Elixir“. Falsnaes organisiert sein Publikum, bringt ihm Parolen bei und drillt die Posen. Im Nebenraum genießen weitere Zuschauer die Show, bis die Wände zersägt werden und Falsnaes die Gruppe als ganzen Demozug auf die Straße führt. Und spätestens da funktioniert das, was Performance so aufregend machen kann, was aber nur selten funktioniert: Es ist tatsächlich nicht mehr klar zu unterscheiden, ob hier eine beknackte Politgruppe oder ein Selbstfindungsseminar umgeht – oder eben Kunst passiert. Die Formen sind austauschbar.

Natürlich hätte Kuratorin Janneke de Vries gern die Performance selbst in die GAK geholt, statt nur die Aufnahme. Aber vielleicht funktioiert das Video sogar besser. Es hat jedenfalls ganz eigene Qualitäten, weil es eben Abstand einräumt und das Gruppengeschehen bloßstellt. Wenn auch zum Preis der individuellen Erfahrung.

Auch hier: Das knallt natürlich weniger, ist aber stärker. Nüchtern ist das richtige Wort für diese Ausstellung, klar und präzise. Und genau darum versetzt sie dann doch auch einen fiesen kleinen Stich. Weil ja die Sache so schrecklich ist und weil die ganze hilflose Aufregungskunst zum Thema ja auch irgendwo Recht hat – weil es ja richtig ist zu schreien. Und da ist es schon auch eine Provokation, wenn sich mal jemand hinsetzt und wirklich nachdenkt.

Die Ausstellung „Dejima: Konzepte von Ein- und Ausschluss“ ist bis zum 6. August in der GAK zu sehen.