Archetypen der Finanzwelt

THEATER Es sind die Gesetze der Ökonomie, die die Welt zusammenhalten. Diese nicht gerade neue Erkenntnis fördert die Braunschweiger Inszenierung von „Die Kontrakte des Kaufmanns“ zu Tage

Die Inszenierung über die Unbilden des Finanzmarkts kommt Jahre zu spät

Manchmal dauert der Weg eines Textes von den Zentren bis an die Peripherie einige Zeit. Doch dass Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ nach seiner Uraufführung in Köln 2009 erst jetzt ans Staatstheater Braunschweig kam, lässt sich nicht allein durch den weiten Weg nach Norden erklären. Nein, der Stoff wirkt nicht nur wie von gestern, er ist es auch. Und das nicht etwa, weil es Jelinek misslänge, die Mechanismen eines außer Kontrolle geratenen Wirtschaftssystems sprachlich einzukreisen. Sondern schlicht, weil all diese Details in den letzten fünf Jahren so intensiv diskutiert wurden, dass der Text keine Neuigkeiten mehr bringt.

Dass es trotzdem ein ansehnlicher Abend geworden ist, ist dem Oldenburger Regisseur Marc Becker zu verdanken. Sechs Schauspieler – drei Männer und drei Frauen – bietet er in Braunschweig auf, die sich in den folgenden 90 Minuten bemühen, Jelineks Krisen-Elegien eine Bildebene hinzuzufügen. Allesamt Archetypen der Finanzwelt, die in wechselnde Rollen schlüpfen, um den Weg des Geldes nachzuzeichnen. So wie Theresa Langer, die uns in Wiener Tonfall erklärt, dass unser Geld zu Hause nicht schläft oder Fernsehen guckt, sondern selbstverständlich nach neuen Wegen sucht, sich zu verflüchtigen.

Dann ist da Ursula Hobmair, der – als blonder Demi Moore – spielend die Verwandlung von der gefährlich schönen, über Leichen wandelnden Business-Lady zum „Engel der Gerechtigkeit“ gelingt, der sich erst hoffnungslos in einem Zelt verfängt und dann mit seinen gestutzten Flügeln prompt vom Wallstreet-Oberindianer mit Federkranz (David Kosel) erschossen wird. Es gibt keine Gerechtigkeit, wusste schon Brecht.

Um dies alles zu verhandeln, hat Bühnenbildnerin Nadia Fistarol eine wahrhafte faustische Kulisse auf die Bühne gebaut: eine begehbare Weltkugel, die im Inneren aus unendlich vielen Formeln besteht, die von den Darstellern eifrig mit weißer Kreide ergänzt werden. Es sind die Gesetze der Ökonomie, die diese Welt im Innersten zusammenhalten, daran lässt Becker keinen Zweifel, wenn er seine Schauspieler im Gleichschritt über die Bühne ziehen lässt. Dazu summen sie „The winner takes it all“. Und wenn man sie so ackern sieht, bedauert man fast, dass dieses talentierte Ensemble seine Energie nicht einsetzen darf, um die bisher unerzählten Geschichten der Wirtschaftskrise an die Oberfläche zu bringen.

Welche Dramatik dieser Stoff entfalten kann, bewies in den letzten Jahren zum Beispiel der bitterböse Hollywood-Thriller „Der große Crash“, in dem an einer Reihe von beängstigend entrückten Charakteren die letzte Nacht vor der großen Krise nachgezeichnet wird. Auch das in jeder Hinsicht ein Theaterstoff, aber einer für ein Theater der Charaktere und nicht der monströsen Jelinek’schen Sprachungetüme, die so seelenlos daherkommen wie die Diktatur der ökonomischen Zahlen, die sie kritisieren. ALEXANDER KOHLMANN

nächste Aufführungen: 14. und 23. 11., jeweils 19.30 Uhr