Konzert für Oldtimer

Der Erfinder des Events. Das Museum Ludwig in Köln ehrt den 99-jährigen amerikanischen Fluxus-Artisten George Brecht mit einer Heterospektive

AUS KÖLNJÜRGEN SCHÖN

Als Marcel Duchamps 1914 mit Urinal und Flaschentrockner „Ready mades“ zu Kunstwerken erklärte, leitete er damit die Erweiterung des Kunstbegriffs ein. Seine wahren Jünger fand der Revolutionär aber erst über vierzig Jahre später. Sie versammelten sich unter der Flagge „Fluxus“, hoben die Grenzen zwischen Musik, Theater und Kunst auf und machten den Alltag zur Kunst. Selten zuvor und danach diskutierte das Publikum so heftig über Kunst. Fluxus war umstritten und populär zugleich.

Mit dieser Zeit verbinden sich Namen wie John Cage, Al Hansen, Allen Kaprow, Robert Filliou, Joseph Beuys und Wolf Vostell. George Brecht (99), einem der einflussreichsten von ihnen, widmet das Museum Ludwig in Köln eine große Werkschau. „Heterospektive“ heißt das frühe Geburtstagsgeschenk, das vor allem frühe Arbeiten zeigt: Zufalls-Gemälde, Stickbilder, Gemeinschaftsarbeiten mit Fluxuskollegen und Dokumentarisches.

Ein zentraler Begriff in Brechts Werk ist das „Event“. Darunter verstand er nicht nur Happenings auf der Straße, sondern auch, dass ein Kunstwerk auch in die Hand genommen und als Spiel genutzt wird. Da finden sich in der Ausstellung Kästchen mit Jonglier-Keulen, Springseilen, Fläschchen mit Trinkbarem und das Kartenspiel „Solitaire“ aus dem Jahr 1959 mit eigenwilligen Regeln und Bildern. Es mutet eigenartig an, diese provokativen Arbeiten heute unter Glas geschützt im Museum zu sehen. Die Events liefen nach „Partituren“ ab. Dies verweist auf Brechts Studium bei John Cage, der die Musik mit seinem (kontrollierten) Zufall ähnlich revolutionierte wie Duchamp die Kunst. Der studierte Chemiker und Ingenieur Brecht, der auch einige Patente für Tampons anmeldete, erforschte als Künstler die Wahrnehmung von Wirklichkeit. Immer wieder stellt er die dabei auf den Kopf, etwa wenn er auf Landkarten Inseln verschiebt oder den Gebrauchswert von Stühlen in Frage stellt. Bleistifte, Kämme und Spielzeugautos lässt er poetische Geschichten erzählen, wenn er sie mit Holzperlen in kleinen surrealen Kästen zusammenstellt. Er erfindet die Figur des W.E. Brunch, dem er ein eigenes Museum widmet. Dort finden sich auch die Handschuhe, mit denen Brunch Niels Bohr begrüßte oder eine Knopfflasche, die in Brüssel verloren ging. Dieser Komplex wird in Köln erstmals der Öffentlichkeit gezeigt.

1972 zog es den New Yorker nach Köln, damals eine Hochburg der Fluxus-Bewegung. Aus öffentlichem Leben und Kunstbetrieb hat Brecht sich schon lange zurückgezogen. Zuletzt nahm er 1987 mit drei großen Steinplastiken an den „Skulptur Projekte für Münster“ teil.

Bis 8. Januar, Museum Ludwig, Köln