Kurzkritik Zu wenig: „Los Nadies“

Am Anfang war das Opfer. Es liegt auf dem Boden, wird von den Füßen der anderen herum geschleudert – mit erstaunlicher Leichtigkeit. Dem nächsten Ausgeschlossenen ergeht’s nicht besser: Den traktieren die anderen so lange mit Schlägen, bis seine marionettenartigen Körperreaktionen in alle denkbaren Richtungen ausgereizt sind. So ist das bei den „Niemands“, also „Los Nadies“, wie die argentinische Kompagnie „Crear vale la pena“ ihre beim „Explosive“-Festival gezeigte Produktion nennt.

Der Gründungsmythos der Gruppe ist toll: Vor zehn Jahren habe die international anerkannte Choreographin Inés Sanguinetti ihr Klavier „mitten in die Slums“ gestellt, zusammen mit einer Sopranistin, um dort klassischen Gesang und Modern Dance zu unterrichten. Aber damit ist auch schon die beste Geschichte erzählt – auf der Bühne kommt keine neue hinzu. Aus den Straßenkindern ist eine professionalisierte Tanztruppe geworden, aber irgendwann wirken deren gute Bewegungssequenzen ermüdend. Die permanente Message: Man ist Opfer, aber auch unverwüstlich. Dazwischen gestreut: eine Beziehungs-Romanze in Bach-moll. Seitliche Schlaglichter ästhetisieren und dramatisieren das Bühnengeschehen, „die Geschichte wird von den Siegern geschrieben“, singt die Band dazwischen. Die Bühnen-Band mit ihren Mercedes Sosa-mäßigen Einlagen ist sowieso ein Fall für sich – ein dramaturgischer Zufall. Wer auf Sprache verzichtet, muss mit dem Körper erzählen. Was voraussetzt, dass überhaupt erzählt werden soll. Was also war das jetzt? Halb Konzert, halb Körperkult, eine gewalttätige Choreographie mit komischen Effekten. Ziemlich viel also. In der Summe deutlich zu wenig. HB

Explosive heute: Das Rap- und Raufmusical „Radical Romance“ (20 Uhr, Schlachthof)