Kunst: Radek Krolczyk über Jeanno Gaussis Videoarbeiten in der Städtischen Galerie
: Wenn Erinnerung zum Fetisch wird

Jeanno Gaussis Videoarbeiten sind vor allem langsam, forschend und poetisch. Zwei ihrer Filme sind zurzeit im Foyer der Städtischen Galerie zu sehen. Einer davon ist der 2007 fertiggestellte „Three Notes“. Die 1973 in Kabul geborene und in Deutschland aufgewachsene Künstlerin unternimmt in drei Episoden den Versuch, wenigstens in Momenten die eigene Kindheit einzuholen.

Die Arbeit wurde 2008 als bester deutscher Beitrag bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen prämiert. Die Künstlerin versucht die Aktivierung ihrer Erinnerungen mit Hilfe von Familienfotos und rituell anmutenden Handlungen. An Ästen hängen statt Blättern ovale Schwarzweißfotos, wie man sie aus alten Alben kennt. Auf einem Tisch werden andere private schwarz-weiße Bilder ausgebreitet. Auch sie zeigen Menschen. Auf den Rückseiten sind Jahreszahlen vermerkt: 1973, 1976, 1977. Als Ortsangabe ist „Kabul“ zu lesen.

Durch die Art, wie diese Fotos im Film auftauchen, hat man nicht das Gefühl, dass irgendetwas Vergangenes erneut gegenwärtig wird. Die Personen auf den Fotografien bleiben fremd. Sie sind eine Art objektivierter Erinnerung, ein Hilfsmittel, ein Fetisch. Die Künstlerin weiß von ihrer afghanischen Herkunft, versucht sich an einer Rückbesinnung – und scheitert. Vielleicht muss sie das sogar.

Die Inszenierung der Fotos, das leichte Flattern als Blätter im Wind, das Gleiten über eine Tischplatte, ist meditativ und macht müde. Wenn man den Film gesehen hat, vergisst man ihn sofort wieder und muss ihn von vorn sehen. Gleichzeitig werden die Fotos im Film zu stark aufgeladenen Gegenständen, von denen viel abzuhängen scheint. „Mono no aware“ sei ein entsprechender japanischer Ausdruck für ein solches Pathos der Dinge, heißt es im Ausstellungstext der Galerie.

Der andere Film, „Three Fragments from Jerusalem“, ist während eines Stipendienaufenthaltes entstanden. Gaussi versucht, sich ihre neue Wohnung anzueignen. Auch hier stehen wieder verschiedene Gegenstände im Mittelpunkt, die mit Bedeutung belegt sind. So sieht man die Künstlerin Gipsstreifen von einer Deckenwölbung ihrer Wohnung mit einer Pinzette abzutragen und vorsichtig, als handele es sich um Reliquien oder Kostbarkeiten, zum Schutz zwischen die Seiten eines Buches zur jüdischen Kultur zu legen. Mit ähnlicher Sorgfalt legt sie nacheinander Stoffe mit unterschiedlichen Blumenmustern in einen ledernen Reisekoffer. Die Folge der Gipsstreifen und der Stoffe geschieht langsam und scheinbar bedeutend. Natürlich liegt das nicht am Stoff, sondern einzig an den menschlichen Wünschen, die darin zum Ausdruck kommen.

Jeanno Gaussi ist mit ihren Videoarbeiten bekannt geworden. Inzwischen arbeitet sie auch mit anderen Mitteln, etwa mit Fotografie oder installativ. Sie bewegt sich sowohl im Bereich des Films als auch in dem der bildenden Kunst. Ihre Videos waren auf internationalen Festivals zu sehen, als Kunst wurden sie auf der 13. Documenta gezeigt.

Die Filme sind noch bis zum 30. Juli zu sehen.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K’.