Das WG-Gefühl

Von der Grundidee bis zum Auftritt in Elke Heidenreichs „Lesen!“: die schöne Doku „Houwelandt – Ein Roman entsteht“ (So., 21.15 Uhr, 3sat)

Von Gerrit Bartels

Das Schreiben, insbesondere das literarische, ist in der Regel eine einsame Tätigkeit. Es braucht Konzentration dafür, keine Kommunikation, und es geht meist im Stillen vor sich. Schon gar nicht taugt das Schreiben dazu, abgefilmt zu werden, und zwar so, dass es im besten Fall unterhaltend ist oder zumindest eine Dramaturgie dabei entsteht. In seinem Film „Houwelandt – Ein Roman entsteht“ und mit dem Schriftsteller John von Düffel als Hauptfigur hat nun der Filmemacher Jörg Adolph diese Regeln weitgehend außer Kraft gesetzt.

Ihm ist es gelungen die Entstehung, Verwandlung, Produktwerdung und spätere Vermarktung von von Düffels 2004 erschienenem Familienroman „Houwelandt“ auf über hundert Minuten derart zu inszenieren, dass einem niemals langweilig wird. Man schaut selbst dann noch gebannt zu, wenn von Düffel allein in seinem Kämmerlein sitzt und die Worte an seinem Computer aneinander reiht. Nur das offene Dokument ist zu sehen und der Cursor, wie er von von Düffel vor- und zurückbewegt wird und er hier ein Wort löscht, dort einen Satz schreibt. Geholfen hat Adolph natürlich, dass es für von Düffel kein Problem war, auch beim Schreiben eine Kamera um sich zu haben: „Wenn ich in einer Geschichte drin bin, kann ich unter allen Umständen schreiben: auf Kindergeburtstagen, in überfüllten ICEs und winzigen Hotelzimmern, wenn meine Freundin telefoniert. Nicht vorstellen konnte ich mir, dass sich der eigentliche Kampf um die Figuren in irgendeiner Weise fassen ließ, außer im Geschriebenen selbst.“

Letzeres gelingt dem Film nicht. Es entsteht zwar ein guter Eindruck von den Grundkonstellationen des Buches: Ein starker Großvater dominiert diesen Roman, auch literarisch, gegen ihn hat es das restliche Romanpersonal schwer, sich durchzusetzen – was erst der Lektor und später ein Kritiker feststellen. Doch der Kampf von Düffels ist in diesem Film mehr ein Kampf mit dem Lektor um das Buch und seinen Inhalt: ihr beider Ringen um Figuren, Formulierungen und bestimmte Schreibweisen, ihre Arbeit des Streichens und Umformulierens, von Düffels stoisches Beharren auf dem Titel. Von Düffel beweist im Verlauf des Films nicht nur, dass er sich auch öffentlich darzustellen weiß und hübsche Anekdoten auf Lager hat, sondern auch, dass er ein Schriftsteller mit viel Reflexionsvermögen ist. Knapp und verständlich erklärt er etwa, wie sehr das eigene Selbstwertgefühl vom Gelingen des Schreibens abhängt. Oder wie es ist, wenn man einen Roman abgeschlossen hat und plötzlich wieder ohne seine Figuren auskommen muss: „Das WG-Gefühl ist weg.“

Parallel dazu zeigt Adolph, wie Umschlaggestalter, Vertrieb, Marketing und Presse des Verlags ihre Arbeit aufnehmen; wie sie darum ringen, die verkaufsfördernden Formulierungen für die Buchhändler zu finden: Familienroman, Generationengeschichte, Familienumarmung. Oder sie aus Elke Heidenreichs Lob für „Houwelandt“ das richtige Zitat für das Werbeklebchen zu filtern versuchen.

Dass John von Düffel mit „Houwelandt“ in Heidenreichs „Lesen!“-Sendung landete, ist ein Glücksfall für ihn, aber auch für diesen Film. Nach seinem 1998 mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichneten Debüt „Vom Wasser“ war es still um ihn geworden, zwei schlechtere Romane folgten, und mit dem Schreiben von „Houwelandt“ begab sich von Düffel schließlich in eine Never-ever-Situation. Diese wiederum empfand Adolph als ideale „dramaturgische Ausgangssituation“ für seinen Film, und tatsächlich sorgen der bei Drehbeginn nicht vorauszusehende Charts-Eintritt nach der Heidenreich-Sendung und ein New-York-Besuch („Houwelandt“ wurde auch ins Amerikanische übersetzt) für einen zusätzlichen Spannungsbogen.

Allerdings verdeckt diese Bestsellerwerdung, dass es viel, viel mehr genauso penibel bearbeitete Bücher gibt, die es dann nicht mal schaffen, wenigstens die Aufmerksamkeit einiger weniger Kritiker zu bekommen. Da war dann nicht nur das Schreiben eine immens einsame Tätigkeit, da bleibt es auch nach der Fertigstellung sehr still um einen Autor oder eine Autorin.