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Komische OperTour de Force für alle

Normales Sprechtheater ge-hta-nde-rs: Herbert Fritsch inszeniert „Valentin“ am Schauspielhaus in Hamburg – mit tollen Big-Band-Sounds und vollem Körpereinsatz

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, sagte Karl Valentin Foto: dpa

Hamburg taz | Das zu behaupten, ist kein Wagnis: Der deutschsprachige Humor hat im letzten Jahrhundert nur wenige brauchbare Vertreter mit Mass Appeal hervorgebracht. Rückblickend reicht die Linie von Helge Schneider über Loriot bis zu Heinz Erhardt. Wer in dieser Aufzählung nicht fehlen darf, ist aber ein seltsamer Bayer mit hagerer Statur und faltigem Gesicht. Sein bürgerlicher Name lautete Valentin Ludwig Fey, bekannt wurde er unter dem Pseudonym Karl Valentin.

Der gebürtige Münchner bezeichnete sich selbst als Komiker und „Stückeschreiber“. Diesen Fächern widmete er sich von 1902, als Valentin begann, öffentlich aufzutreten, bis zu seinem Tod im Jahr 1948. Und das in verschiedenen Formen: Er schrieb für das Theater und stand als Darsteller selbst auf der Bühne, drehte außerdem zahlreiche Stumm- und Tonfilme – allen voran mit seiner langjährigen Partnerin Elisabeth Wellano alias Liesl Karlstadt.

Schwer einzuordnender Typ

Bis zum Schluss blieb Valentin ein schwer einzuordnender Typ. Sein Witz schwankte zwischen geistvoll-glänzend und glanzvoll-geistlos, er war hintergründig, manchmal auch, mit voller Absicht, todnervig. Als „Wortzerklauberer“, wie ihn der Kritiker Alfred Kerr nannte, hatte er etwas mit den Dadaisten gemein. Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky schätzten ihn als Freund und Künstler. Der eine verglich Valentin mit Charlie Chaplin, der andere attestierte ihm „linkes Denken“.

Valentin war kein Intellektueller, sondern sah sich als „Volksdarsteller“. Angeblich amüsierte es ihn, „was denn schon wieder G’spinnerts über ihn geschrieben worden war“, wenn Kritiken seiner Stücke besonders hochtrabend ausfielen. Und dass Valentin in Norddeutschland weniger bekannt war (und immer noch ist) als bei ihm „dahoam“, daran hatte freilich auch sein Akzent etwas Schuld.

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“: Dieses vielleicht allzu geflügelte Wort Karl Valentins könnte als Motto der Produktion gelten, die am Sonntag im Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt wird. Unter der Regie von Herbert Fritsch entstand in den vergangenen Wochen eine komische Oper auf Basis des umfangreichen Wortmaterials, das der bayrische „Sprach-Anarchist“ hinterlassen hat – auf Tonträgern, in Filmen oder schriftlich. Die Inszenierung beginnt mit einer Art Stretch-Übung für Ohren und Hirn: Auf einer leeren Bühne klicken fünf Metronome in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vor sich hin. Danach treten fünf Darsteller vor die Taktelle, gefolgt von fünf Musikern, die – das Tempo des jeweiligen Klicks aufgreifend – die versetzt einsetzenden Schauspieler durch ihren Text dirigieren. Aus Valentins frechem „Kunst“-Spruch entsteht ein polymetrisches Mantra zwischen 70 und 140 Schlägen pro Minute.

Dieser Einstieg dient als Vorbereitung auf die dann folgende Tour de Force aus seziertem Text, anspruchsvoller Musik und sperrigem Körperspaß. Valentin-Kenner dürfen sich auf weitere Zitate, Texte, Anspielungen und Gags freuen. Die Stichwörter für die kommenden Szenen lauten „Liebesbrief“, „Scheinwerfer“, „Orchesterprobe“, „Hölle“ und „Anwesenheitsliste“.

Schon aufgrund der schieren Textmenge, die die Darsteller zu bewältigen haben, sind ihre Anforderungen in diesem Stück außergewöhnlich hoch. Karl Valentins Art, die Worte und ihre Bedeutungen regelrecht auseinanderzunehmen, um einen mikroskopischen Blick auf einzelne Silben und Buchstaben zu werfen, macht die Wiedergabe seines speziellen Wortwitzes für die Schauspieler auch nicht einfacher. Schon mal einen Chor gehört, der nur für bestimmte Konsonanten zuständig war? Normales Sprechtheater ge-htje-denf-all-sande-rs.

Auch musikalisch ein Riesenspaß

Eine weitere Herausforderung stellt die Musik dar, die der Berliner Komponist Michael Wertmüller für „Valentin“ geschrieben hat. Das von Wertmüller und Christophe Schweizer zusammengestellte Ensemble, zu dem auch das Schweizer Free-Jazz-Trio Steamboat Switzerland gehört, spielt auf höchstem Niveau. Mit dem musikalischen Leiter wie mit der Band verbindet Wertmüller eine langjährige künstlerische Partnerschaft. Der Komponist wusste also genau, was er diesen Musikern abverlangen kann – nämlich so gut wie alles.

Was die 15-köpfige Big Band dann im Verlauf ihrer zahlreichen Einsätze an Sounds, Themen und Rhythmen absondert – Swing mit krummen Takten, harscher Avant-Rock, kurze Jingles und krasse Breaks –, das war auf einer Theaterbühne wie dieser wohl bisher noch nicht zu hören. Ein Riesenspaß, den clown-esk (oder black-metal-esk?) geschminkten Musikern dabei zuzuschauen, wie locker sie die komplexesten Passagen meistern, als handele es sich um simple Kinderlieder.

Ob die Darsteller sich ebenfalls darüber im klaren waren, was mit „Valentin“ musikalisch auf sie zukommt? Zwei der neun, Sopranistin Ruth Rosenfeld und Tenor Josef Ostendorf, sind spätestens seit der Produktion von „Weine nicht, singe“, im Jahr 2015 an der „Opera Stabile“ der Hamburgischen Staatsoper entstanden, mit der Arbeit von Michael Wertmüller vertraut. Andere dürften zum ersten Mal mit solchen Klängen (und solcher sprachlichen Hektik) konfrontiert worden sein.

Umso imposanter, wie genau hier die gewaltigen Wortpartituren und Körper-Choreografien auf die schwierige Musik abgestimmt sind. In den besten Momenten verzahnt sich die Abfolge von Tönen, Geräuschen und Gesten so rasant und feinteilig ineinander, dass man als Zuschauer nicht mehr verfolgen kann, welcher der insgesamt 24 Bühnenakteure gerade an der Reihe ist – und einem fast schwindlig wird.

Damit nicht genug: Während sie ihr so unruhiges wie beunruhigendes Silben-und-Noten-Pingpong spielen, nutzen die Schauspieler den kompletten Aktionsradius, den ihnen die große Bühne des Schauspielhauses bietet: Stellenweise geht es über ganze Szenen hinweg nervös zuckend oder fahrig rempelnd von links nach rechts, von vorn nach hinten, von unten nach oben.

Ruhepausen sind rar

Dass irgendwann der Schweiß in Strömen fließt, ist kein Wunder. Ruhepausen sind während des Stückes rar gesät. Ein ums andere Mal verlässt die Big Band das Podest, um ihre Plätze für die Darsteller frei zu machen. Später im Stück gruppieren sich die Musiker zu einer fußkranken Marschkapelle, die nach einer kleinen Polonaise erschöpft von der Bühne humpelt. Ein wilder Ritt für alle Beteiligten, inklusive Publikum, neigt sich dann dem Ende zu.

Wo so viel Action herrscht, geht sicher mal etwas kaputt. Bleibt abzuwarten, wie das tolle Bühnenbild und die Kostüme, beides aus Papier (!), die kommenden Aufführungen überstehen werden. Oder um den oben erwähnten „Kunst“-Spruch vom Anfang der Inszenierung nochmal aufzugreifen: Kunst macht viel Arbeit. Das ist dieser Produktion anzumerken. Ist aber schön geworden, dieser „Valentin“. Und für Norddeutsche ein guter Anlass, sich mit einem ausgesprochen schrägen Bayern zu beschäftigen.

Uraufführung: Sonntag, 28.5.2017, 19 Uhr, Hamburg, Deutsches Schauspielhaus. Weitere Termine: 17.,21.+29.6.

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