Berliner Szenen: Beginn der Partysaison
Verzauberte Nacht
Am Freitagabend um 11 Uhr nachts noch mal um den Block gegangen. In eine 200 Mann starke Open-Air-Party gelaufen. Hoppla, das kann passieren, wenn man in der deutschen Hauptstadt lebt, die mit dem Slogan „365/24“ Touristen anziehen will.
Vor zwei Tagen sagten sich hier um diese Zeit noch Flaschensammler und Spätheimkehrer gute Nacht. Aber dann wurde endlich das Wetter besser. Und urplötzlich ist ein Block von Wohnhäusern zur Kulisse einer mitternächtlichen Spontanparty geworden, die von den Spätis der Nachbarschaft gern mit Sterni für 70 Cent beliefert wird.
365/24 ist „eine Chiffre für die Kulturmetropole Berlin mit ihrer Vielfalt und Kreativität zwischen Mainstream und Nische“, liest man auf der Website des Berliner Fremdenverkehrsamts, nachdem man durchgeschüttelt ins nicht mehr ganz so traute Heim zurückgekehrt ist. „Berlin bietet neben dem Bekannten, Berühmten und Erwarteten immer auch etwas Neues, Überraschendes und Ungewohntes.“ Zum Beispiel Jungmenschen, die zur Überraschung der Autochthonen um 1 Uhr nachts „Volare“ mit verschiedenen Akzenten zum Vortrag bringen und sich dabei mit dem Smartphone fotografieren, um ihr Instagram-Profil aufzuwerten. Hashtag: Ist ja irre, was man in Berlin alles darf, ohne eins auf die Mütze zu bekommen.
Im Rausch einer Frühlingsnacht ist die Baustelle vor dem eigenen Haus zu einem Spielplatz für die Jugend der Welt geworden, die für 15 Euro pro Nacht ihren Rucksack im rechtswidrig betriebenen Fox Hole Hostel abgestellt hat und nun nach Amüsement sucht: Die Rohre eignen sich zum Herumlungern, die Baustellengitter für artistische Übungen. Und der Bagger erlaubt einen Weitblick über das Geschehen in dieser verzauberten Nacht, die in Berlin bekanntlich an jedem Tag des Jahres 24 Stunden hat.
Tilman Baumgärtel
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