Mallorca, ein Ritt

„Reiten statt golfen“, eine umweltverträgliche Idee, denn der grüne Tourismus wird auf Mallorca längst propagiert. Er dient auch als Korrektur des Ballermann-Image der größten Balearen-Insel

von THOMAS PAMPUCH

„Die meisten Deutschen, die nach Mallorca kommen, entschuldigen sich dafür. Hab ich beim ersten Mal auch gemacht.“ Christiane, Deutsche, ehemalige Ausbilderin bei der Lufthansa und Weltenbummlerin, schmunzelt. Ihr Mann Lorenzo, waschechter Mallorquiner, genehmigt sich einen „Carajillo“. Das ist ein Espresso mit Brandy – und sowohl geschmacklich wie preislich eine der nicht zu unterschätzenden Kulturleistungen, die Spanien der Welt geschenkt hat. Wir sitzen in der Stammkneipe der beiden, im Murallas, gleich außerhalb der Stadtmauer Alcúdias, und plaudern.

Wer in Mallorca mit Einheimischen oder hier lebenden Ausländern redet, kommt nicht darum herum, über den Tourismus zu philosophieren. Bei Christiane und Lorenzo überwiegt das Positive, immerhin betreiben sie seit ein paar Jahren einen kleinen Reitstall nicht weit von der Bucht von Pollenca im Norden der Insel. Ihre Hípica Formentor liegt nahe am Naturschutzgebiet der Albufereta, einer Feuchtzone mit Kanälen, Seen und Dünen zum Meer hin.

Das kleine Unternehmen gehört sicher zu den liebenswertesten Tourismusangeboten, die man auf der Baleareninsel finden kann, und man fragt sich, wie es kommt, dass bei immerhin 8.248.708 Touristen im letzten Jahr den beiden nicht andauernd der Stall eingerannt wird. Doch Reittourismus hat es nicht leicht auf der Lieblingsinsel der Deutschen und Engländer. Vielleicht, weil deren Zeiten als Reitervölker doch schon einige Jahre zurückliegen. Sicherlich aber auch, weil der berühmte „sanfte“, der „Öko-“ oder „Agro“-Tourismus auch heute ein zartes Pflänzchen neben der Massenabfertigung in den Strandhotelburgen ist.

Gemütlich trottet die Stute Heidi durch die abendlichen Albufereta. Wir sind sieben Reitersleute und Tom, ein mittelgroßer schwarzer Mischlingshund mit sehr kurzen Beinen, dem Lorenzo das Reiten beigebracht. Selbst beim freudigsten Galopp steht er, geschickt die Bewegungen des Pferdehinterns ausbalancierend, hinter dem Sattel seines Herrchens. Über gemütliche Wege entlang der typischen mallorquinischen Steinmäuerchen gelangen wir nach eine Stunde in den Naturschutzpark mit seinen satten Wiesen und den hübschen Tamariskenwäldchen.

Als Christiane vor mehr als 13 Jahren für einen Kurzurlaub nach Mallorca kam, hatte sie das Glück, sehr bald Lorenzo zu treffen. Der hatte gerade angefangen, mit Pferden zu arbeiten – für das feine 5-Sterne Hotel Formentor übrigens, wo damals noch Leute wie Claudia Schiffer und Peter Ustinov abstiegen. Lorenzo kümmerte sich darum, die feine Klientel auf Pferde zu setzen, und war im Begriff zu einer Art mallorquinischem „Pferdeflüsterer“ zu werden.

Irgendwann machte er sich selbstständig, und Christiane, die inzwischen ihm, den Pferden und Mallorca hoffnungslos verfallen war, half ihm dabei. Seitdem führen sie reitfreudige Touristen in kleinen Gruppen auf ihren 10 Pferden durch den Nordosten der Insel – auf kleinen Ausritten, aber auch auf mehrtägigen Trails. Ein Problem dabei ist bis heute, Passagen und Wege durch den vielen Privatbesitz zu finden. Dennoch hoffen sie, auch in der Wintersaison noch mehr Gäste für einen Reiturlaub auf Mallorca zu gewinnen: „Reiten statt Golfen“ – eine aufregende, preiswerte und umweltverträgliche Idee.

Der romantische Reitstall ist ein schönes Beispiel für jenes „andere“ Mallorca, von dem man in den letzten Jahren immer wieder hört und an dessen Propagierung auch die örtlichen Fremdenverkehrsbüros fleißig arbeiten. Denn wenn eine knapp 3.700 Quadratkilometer kleine Insel im Jahr über 8 Millionen Gäste empfängt – in den Sommermonaten bedeutet das über 40.000 täglich –, dann ist das aus Sicht der Tourismusbehörden ein Grund zur Zufriedenheit. Da ist man eher stolz als innovativ und feiert „100 Jahre Fremdenverkehr auf Mallorca“.

Stolz und zufrieden ist auch José Negrón, der Pressesprecher des Instituts Balear del Turisme Ibatur: Nein, mit dem Tourismus habe man derzeit nur sehr wenige Probleme. Ja, 2002 und 2003 habe man so um die 700.000 Deutsche verloren. Das habe vor allem an dieser Zwangs-Ökosteuer gelegen, die die damalige rot-grüne Balearen-Regierung eingeführt hat. Da hätten viel Deutsche geglaubt, sie seien nicht mehr willkommen auf der Insel. Genauso hat es die Bild-Zeitung dargestellt, die eine regelrechte Kampagne gegen diese Steuer veranstaltete. Die neue konservative Inselregierung habe die Steuer nun Gott sei Dank abgeschafft. Auch jetzt aber werde – natürlich – etwas für die Umwelt getan, zum Beispiel mit der freiwilligen grünen Karte, mit der man für 10 Euro viele Rabatte bekomme und aus deren Erlösen Umweltprojekte finanziert würden. Triumphierend zeigt Señor Negrón seine persönliche „Tarjeta verda“.

Ob die Behörden die Millionen Karten, die sie pro Jahre verkaufen wollen, auch wirklich loswerden, darf bezweifelt werden. Unter den Touristen jedenfalls hat sie sich noch nicht herumgesprochen, und wenn man die Webseite tarjetaverda nach Projekten absucht, findet man gerade mal eine geplante Observationsplattform in der Albufereta und einen solarbetriebenen Katamaran im Hafen von Palma. Es kommt einem der Verdacht, dass das grüne Symbol auf der Karte vielleicht doch keine Hand, sondern ein stilisiertes Feigenblatt sein könnte.

Nach einer weiteren halben Stunde haben wir die Sanddüne erreicht, die das Naturschutzgebiet vom Meer trennt. Wir überqueren die Küstenstraße und geben den Pferden am langen, einsamen Strand noch einmal die Zügel. Dann nehmen wir ihnen die Sättel ab und ziehen uns bis auf die Badehose aus. Was folgt, ist eines der Abenteuer, für die allein eine Reise nach Mallorca sich lohnt: baden zu Pferd im Meer.

Die ganze Debatte über „Qualitätstourismus“, die seit Jahren angesichts der „Ballermannisierung“ Mallorcas geführt wird, hält José Negrón für albern. „Es gibt keinen guten oder schlechten Tourismus. Schlechter Tourismus ist der, der nicht kommt.“ So schlicht das klingt, aus der Sicht eines Pressechefs des Tourismusverbandes ist das wohl berufsbedingte Ignoranz. Demgegenüber aber nun in dem gehobenen „Klasse statt Masse“-Tourismus mit Landhäusern und eigenem (Leih-)Auto die alleinige Zukunftsperspektive Mallorcas zu sehen, wie es auch mit Hilfe des Mallorca-Promis Michael Douglas geschieht, ist gewiss ebenso blind. Das Teure ist ohne das Billige nicht denkbar. Ballermann macht’s möglich.

Für eine Diskussion darüber lohnt es sich, Petra Rossbach zu besuchen, die seit über 30 Jahren eine der besten Kennerinnen Mallorcas ist. Sie hat eine Reihe von Reiseführern über die Insel geschrieben und betreibt in Cala Sant Vicenç den „Mallorca Rent Service“, ein kleines Unternehmen zur Vermittlung von Fincas in der Gegend um Pollenca. Natürlich gebe es verschieden Ebenen des Tourismus, erklärt die ehemalige TV-Journalistin, und das sei auch richtig. Der Billigtourismus sei im Übrigen keineswegs die größte Gefahr, weder für die Natur noch für die Einheimischen. „Die Ballermänner mag man hier.“ Sie störten die Infrastruktur der Insel am wenigsten, und die Mallorquiner gingen sogar gerne mal in die einschlägigen Reservate, um dort deutsche Würstchen zu probieren. Verglichen mit diesen Ghettos seien die 40.000 Leihwagen, mit denen die Individualtouristen täglich durch die Insel schwärmen, sicherlich ein größerer Störfaktor für Land und Leute – eine Ansicht, die übrigens auch von der mallorquinischen Umweltschutzorganisation GOB vertreten wird.

Den zunehmenden Finca-Tourismus, den sie selbst mit organisiert, sieht Petra Rossbach durchaus kritisch. Das Hauptproblem dabei sei allerdings die mangelnde Kontrolle des Marktes und der Bautätigkeit. Korruption, unfähige Bürokratie, Schwarzmarkt, Steuerbetrug – all das führe zu einem ungeregelten Wildwuchs, der sowohl die Landschaft als auch die Menschen bedrohen könne. Die Insel lebe vom Tourismus, deshalb brauche sie in diesem sensiblen Bereich verbindliche Regelungen und Vorschriften. Mehr noch: „Die Insel braucht einen gelenkten Tourismus.“ Bloß: Wer ihn lenkt und wohin, das wird Mallorca immer wieder beschäftigen und wird täglich neu entschieden. Nicht zuletzt von den acht Millionen Besuchern.

Zögernd, fast wie kleine Kinder, stampfen die Pferde in die Brandung, und genau wie die scheinen sie plötzlich zu erkennen, was für einen Spaß Baden macht. Bis sie dann den Boden unter den Hufen verlieren. Da wird auch die Stute Heidi etwas unsicher und schwimmt strampelnd zurück bis sie wieder festes Geläuf spürt. Doch ganz leicht ist sie dazu zu bewegen, sich immer wieder neu in die Wellen zu stürzen. So vergnügen wir uns – Mensch und Tier gemeinsam – eine wunderbare Viertelstunde lang im warmen Licht des Sonnenuntergangs. Auf dem Ritt zurück wird es stockdunkel. Und plötzlich sieht man die Funken, die die Hufe der Pferde auf den gepflasterten Wegen schlagen. Im Schein von Taschenlampen versorgen wir die Pferde. Und danach uns – bei einem Carajillo im Murallas.

Reitstall: info@hipicaformentor.com oder Tel. 0 03 46 09 82 67 03 Fincas: www.mallorcarentservice.com