Berliner Szenen
: Viele Verrückte

Die Türöffnerin

„Is mir doch ejal, ob eener jelb, schwarz, grün oder rot is“

Der Morgen beginnt mit einer Warnung. Als ich mit dem Rad die Sparkasse am Kottbusser Tor ansteuere, höre ich eine Frau sagen: „Loofen viele Verrückte rum heute.“ Die Frau steht im Türrahmen der Filiale und hält den Kunden die Tür auf. „Viele Verrückte. Muss man vorsichtig sein.“ Sie ist wohl so um die 50, trägt blondierte, mit Haarspray hochtoupierte Haare, die mich an die Zeiten erinnern, als FCKW noch die globale Bedrohung Nummer eins war. Die Augenbrauen hat sie abrasiert und durch zwei fette schwarze Striche ersetzt.

„Ein Mann kam grad an und hat gesagt: ‚Ich bin Rassist‘“, erzählt sie, als ich das Rad abstelle. „Weeßte, der ist einfach so hier reinspaziert und meinte: ‚Ich bin Rassist.‘ Ha’ick ihm jesaacht, wenn’ick Leute wie dich seh’, dann wer’ick ooch eener.“ Ich frage nach, was sie meint, weil ihr Berlinerisch so krass ist, dass ich es kaum verstehe. „Dann werde ich auch zum Rassisten, wenn ick so een sehe“, erklärt sie. „Is mir doch ejal, ob eener jelb oder schwarz oder grün oder rot is’. Hauptsache, er is’ anständig.“ Die Frau bietet mir an, auf mein Fahrrad aufzupassen. Den Service nehme ich an, ich habe es eilig, muss zur Arbeit, kann mein Fahrrad unabgeschlossen draußen stehen lassen – und irgendwie wirkt die FCKW-Frau vertrauenswürdig.

Als ich wieder rauskomme, um etwas Bargeld reicher, öffnet die Frau wieder die Tür, will wieder etwas sagen, hält aber inne. Denn nun steht eine andere Frau schimpfend vor dem einzigen Geldautomaten zur Straße raus. „Der is’ kaputt“, ruft die Türöffnerin zu ihr rüber, „der Schlitz ist verstopft. Nur die Automaten drinnen funktionieren.“ Eigentlich müsste sie als Servicekraft von der Sparkasse bezahlt werden. Fürs Aufs-Fahrrad-Aufpassen drücke ich ihr 50 Cent in die Hand. Ehe ich davonradle, sagt sie noch: „Ist doch wahr, Hauptsache, man ist anständig.“

Jens Uthoff